Wiesbadener Kurier vom 20.05.2020:
Der Wiesbadener Verein „Moment mal“ muss sich neu aufstellen. Vorträge und Versammlungen sind nicht möglich. Für die Demokratie will man sich aber weiterhin einsetzen.
Von Anja Baumgart-Pietsch
„Moment mal“ heißt die Aktion, die sich 2018 in Wiesbaden unter
dem Eindruck erstarkender rechter Kräfte gegründet hat – ein Freundeskreis aus den unterschiedlichsten Spektren der Stadtgesellschaft. Speziell die AfD als parlamentarischer Arm der völkisch-nationalistischen Bewegung und die mit ihr verwobenen fremdenfeindlichen oder verschwörungstheoretischen Gruppen soll ganz klar als Bedrohung der Demokratie benannt werden. „Menschenfeindliche Parteien und Gruppierungen können sich in einer Demokratie zur Wahl stellen – aber sie müssen damit leben, dass sie nicht an jeden Tisch gebeten werden, sondern auf heftigen Gegenwind treten“, heißt es bei „Moment mal.“
In den vergangenen beiden Jahren wurden zwölf gut besuchte Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen organisiert, ganz gezielt an unterschiedlichen, exponierten Orten wie Staatstheater, Schlachthof, Haus an der Marktkirche, Museum, Theater im Pariser Hof. Denn, so Mitorganisatorin Claudia Sievers, durch diese Vielzahl der Orte habe man auch ein sehr unterschiedliches Publikum erreicht und spannende und kontroverse Diskussionen erlebt. Jetzt jedoch ist das reale Programm durch Corona zum Erliegen gekommen. Bereits vor dem allgemeinen Veranstaltungsverbot hatte sich „Moment mal“ entschlossen, den im März geplanten Abend mit dem CDU-Politiker Ruprecht Polenz abzusagen. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde und Vertreter der Bundesregierung im Dialog um den Völkermord an den Herero und Nama mit Namibia hätte in der Ringkirche über die Verantwortung der Konservativen für die Demokratie sprechen sollen.
„Wir erkannten bald, dass es nicht ausreicht, die Planungen einfach einige Wochen zu verschieben“, sagt Mitorganisator Georg Habs. „,Moment mal‘ hat sich schnell aus der Schockstarre gelöst und in wöchentlichen Videokonferenzen weitergearbeitet. Wir haben schnell gemerkt, dass wir nicht nur neue Formate finden müssen, sondern dass wir jetzt auch auf die sich verändernde Situation reagieren müssen. Einige Themen drängen sich neu nach vorne, andere verlieren an Bedeutung.“
Man habe aber nicht einfach nur ins Digitale ausweichen und Vorträge abfilmen wollen, denn erfahrungsgemäß finde das nur wenig Beachtung. Dass man sich aber nicht zurückziehen kann, bis die Krise irgendwann ausgestanden ist, war den Mitstreitern auch klar. „Wir erleben ein Paradox: Die Zeit scheint eingefroren, aber die gesellschaftlichen Probleme bleiben. Die Bedrohung unserer Demokratie verstärkt sich sogar.“ So arbeitet „Moment mal“ gerade mit Unterstützung von „Achtsegel.org“, einem Frankfurter Büro für demokratische Kommunikation und politische Bildung im Netz, an neuen Formaten. Das sollen kürzere Filme in Form von Interviews mit Fachleuten einerseits, kleinen Dokumentationen zu aktuellen Themen andererseits werden, die, so ho man, ab Juni etwa wöchentlich im Netz stehen sollen und dort auch diskutiert werden können. „Wir möchten unseren hohen Qualitätsstandard auch jetzt aufrechterhalten“, sagt Claudia Sievers.
Bei der Durchführung kann man sich auf Förderung von „Demokratie leben“ und der Martin-Niemöller-Stiftung stützen. „Statt mit Veranstaltungen möchten wir mit Videos die Themen definieren, die für die offene Gesellschaft wichtig sind. Wir werden dabei auch ein besonderes Augenmerk auf die Situation in Wiesbaden werfen, wo ja auch diese ,Hygienedemos’ ablaufen.“ Und sie nennt das Motto in Krisenzeiten: „Wir tragen Mundschutz statt Aluhut und streiten weiterhin gegen die
Feinde der offenen Gesellschaft.“
23.6.2019 – Die AfD-Rathausfraktion Wiesbaden versucht Druck auf die Martin-Niemöller-Stiftung als Unterstützerin der Veranstaltungen von Momentmal aufzubauen. Verfasst wurde das AfD-Schreiben vom 17. Juni 2019 (s.u.) von Jens Schaefer, dem politischen Referenten der Fraktion.
Die Antwort der Niemöller-Stiftung – ein Lehrstück für Demokratie:
Sehr geehrter Herr Schaefer,
wir möchten Ihre Fragen folgendermaßen beantworten: Die Martin-Niemöller-Stiftung ist parteipolitisch ungebunden, aber nicht neutral. Sie nimmt entschieden Partei für Mitmenschlichkeit. Ihr Leitsatz heißt: Wir brauchen eine zivile, demokratisch und human gestaltete – eine solidarische Welt. Unter dem Motto „Streiten für den Menschen“ unterstützen wir deshalb gerne und überzeugt die Arbeit der Initiative „Moment mal! Aktion für eine offene Gesellschaft“ ohne Wenn und Aber.
Wie „Moment mal!“ sehen auch wir die Gefahr, dass rechtsextreme Bewegungen und die explizit antidemokratische Neue Rechte die Strategie verfolgen, öffentliche Räume und den öffentlichen Diskurs zu okkupieren. Gerade deshalb hat sich „Moment mal!“ zusammengefunden: die Mitglieder der Initiative möchten den öffentlichen Diskurs mitgestalten und ihn eben NICHT der Neuen Rechten überlassen. Sie tun dies ehrenamtlich und aus Sorge um die Erosion unserer Demokratie.
Wir sind uns auch mit der Initiative „Moment mal!“ einig in der Überzeugung, dass die AfD zunehmend das gesellschaftliche Klima vergiftet, und zwar nicht in Einzelfällen, sondern bewusst und gezielt als Gesamtpartei. Die zunehmende Radikalisierung und die sprachliche Verrohung der AFD im Laufe der letzten Jahre sind keine Unterstellung, sondern unübersehbare Tatsache und – leider – jeden Tag neu zu erleben.
Wir möchten die widerwärtigen, menschenverachtenden und gewalttätigen Aussagen, die Tag für Tag von AfD-Funktionären in die Öffentlichkeit getragen werden, hier nicht wiederholen. Aber wir verweisen gerne auf den Bericht der ehemaligen hochrangigen JA – Funktionärin und Pressesprecherin Franziska Schreiber, die auf unserer gemeinsamen Veranstaltung mit „Moment mal!“ im März d.J. sehr genau beschrieben hat, wie diese Vergiftung funktioniert: Wie innerhalb der AfD der Druck aufgebaut wird, dass man immer noch schärfer formuliert, immer noch härtere Rhetorik verwendet. Wie die Sprache der Funktionäre immer mehr verroht. Wie sie sich selbst sprachlich radikalisiert hat. Welche Wortakrobatik notwendig war, in welchem „Sprachgefängnis“ sie sich befunden hat. Wie sie als Pressesprecherin am Rande der Fake News operierte, wie sie immer drastischer „Beweise“ liefern musste als Beleg für einen nahenden Bürgerkrieg, den viele der Anhänger herbeireden. Welche moralischen Zugeständnisse sie machen musste, welche Abstumpfung sie selbst dabei erfuhr. Dass es einen regelrechten Wettbewerb gab, wer die polarisierendsten Grafiken und Formulierungen benutzte, wer die lautesten Empörungsschreie erntete. Sie erzählte, wie jedes Mitglied aufgefordert wird, sich einen Account in den sozialen Medien anzulegen und sich dann so viel AfD-Gruppen wie möglich anzuschließen, und dass es keine halbe Stunde dauert, bis ein Artikel oder ein Hassbildchen 30.000mal verbreitet ist. Wie Medien mit Kommentaren überflutet wurden, um eine in der Bevölkerung vorherrschende Meinung vorzutäuschen. – Das ist der Alltag bei der AfD und der mit ihr verbandelten rechtsextremen Netzwerke, und wir können uns Tag für Tag aktuell überzeugen, wie das Gift wirkt.
Sie selbst liefern uns mit Ihrer „Anfrage“ ein Beispiel für rechts-typische Vergiftungstechnik durch bewusste Verdrehung und Verfälschung: der neuen Rechten die öffentlichen Räume und den Diskurs nicht zu überlassen heißt eigentlich unmissverständlich, ihr genau dort entgegenzutreten, nämlich im öffentlichen Raum und Diskurs. Von Wegnehmen ist keine Rede. Aber Sie deuten es um, weil Sie und Ihre Netzwerke versuchen, genau das mit anderen zu machen – siehe Ihre reißerische Attacke auf das Kulturzentrum Schlachthof.
Nachdem wir nun Ihre Frage ausführlich beantwortet haben, möchten wir unsererseits Ihnen einige Frage stellen:
1. Welchen Zeck und welchen Hintergrund hat Ihr Schreiben?
2. Sind Sie jener Jens Schaefer, der bis Anfang des Jahres stellvertretender Vorsitzender der vom Verfassungsschutz wegen Rechtsextremismusverdacht beobachteten „Jungen Alternative Bremen“ war?
3. Trifft es zu, dass Sie den Post eines Migranten mit den Worten kommentierten: “Mach doch endlich nen Abflug, du hast sowieso keinen Mehrwert für Deutschland“.
4. Trifft es zu, dass Sie gute Kontakte zur „Identitären Bewegung“ und dem u.a. von Götz Kubitschek gegründeten Verein „Ein Prozent“ haben? Falls ja: Was hält die AfD Wiesbaden von diesen Kontakten?
Freundliche Grüße
Martin-Niemöller-Stiftung e.V.
>> Dieses Antwortschreiben ging in Kopie an alle Wiesbadener Rathausfraktionen.
Hier das Schreiben aus der AfD-Rathausfraktion:
Sehr geehrte Damen und Herren,
am 21.05.2019 fand im Wiesbadener „Theater im Pariser Hof“ die Veranstaltung „Rechte Populisten an der Macht – Gefahr für Demokratie und Sozialstaat – Beispiel Österreich“ statt.
Den Flyer zur Veranstaltung finden Sie als Scan im Anhang dieser Mail.
Die Rückseite des Flyers ziert folgender Satz: „Wir überlassen der Neuen Rechten weder die öffentlichen Räume noch den öffentlichen Diskurs!“
Dieser Satz erscheint mindestens fragwürdig, sind doch sowohl öffentliche Räume, als auch der öffentliche Diskurs Wesensmerkmale der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und somit existentiell. Auch eine sogenannte „Neue Rechte“ verfügt über diese Partizipationsrechte, welche anhand dieser Aussage unmissverständlich entzogen werden sollen.
Damit wird eine angebliche Informationsveranstaltung zu einem Boykott-Aufruf gegen Meinungsvielfalt.
Sie sind als Unterstützer bzw. Sponsor dieser Veranstaltung auf Seite 2 aufgeführt, daher bitten wir um eine Beantwortung der folgenden Fragen:
1. Prüfen Sie die Inhalte der durch Sie unterstützten Aktionen, Veranstaltungen etc. vorab? Haben Sie dem Inhalt des Flyers vor Druck und Veröffentlichung zugestimmt?
2. Wie stehen Sie zu der oben zitierten Aussage? Befürworten Sie eine solche Auslegung demokratischer Prinzipien?
3. Repräsentiert der Veranstalter „Moment Mal! Aktion für eine offene Gesellschaft“ in dieser Form auch Ihre Auffassung von demokratischer Meinungs- und Willensbildung?
4. Halten Sie es für vertretbar mit „Moment Mal!“ eine Vereinigung zu unterstützen, die einer demokratisch gewählten Partei pauschal eine „Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas“ unterstellt? Siehe dazu: https://momentmal.org/aktion-fuer-eine-offene-gesellschaft/
Mit freundlichen Grüßen und Dank im Voraus,
Jens Schaefer
Politischer Referent
Alternative für Deutschland (AfD)
Rathausfraktion Wiesbaden
Rathaus – Schlossplatz 6
65183 Wiesbaden
Telefon: 0611 – 31 4552
E-Mail: jens.schaefer@wiesbaden.de
E-Mail: afd@wiesbaden.de
Internet: http://www.wi.afd-fraktion-hessen.org
17.5.2019 – Im Vorfeld ihrer nächsten Veranstaltungen teilt die Initiative „Moment mal! Aktion für eine offene Gesellschaft“ mit:
Als Veranstalter werden wir Herrn Robert Lambrou, Vorsitzender des AfD-Landesverbands Hessen, Vorsitzender der AfD-Landtagsfraktion Hessen und AfD-Stadtverordneter in Wiesbaden, in Zukunft den Zutritt zu unseren Veranstaltungen verwehren.
Die Gründe:
Wir haben die Frage des A-priori-Ausschlusses von unseren Veranstaltungen von Herrn Lambrou lange diskutiert. Uns ist bewusst, dass der Umgang mit der AfD schwierig ist. Es bleibt eine Gratwanderung zwischen inhaltlicher Konfrontation und der Notwendigkeit, inakzeptable menschenfeindliche Diskursverschiebungen zu unterbinden. [3]
Was Herrn Robert Lambrou betrifft, haben wir uns aus den oben genannten Gründen entschieden, ihm den Zutritt zu unseren Veranstaltungen zu verwehren. Dies kommunizieren wir offen, um ihm unnötige Wege zu ersparen. Wir werden ihm den Einlass verwehren, solange er Funktionsträger der AfD ist, die sich fest zu ihrem völkisch-nationalistischen Flügel bekennt, der mittlerweile die stärkste Kraft innerhalb der Partei bildet. Dasselbe gilt für alle, auf die sich unsere allgemeine Ausschlussklausel bezieht:
Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen, und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen. Dazu gehören insbesondere Personen, die Kontakte zur rechtsextremen „Identitären Bewegung“ pflegen.
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[1] In dem Blog „Jouwatch“, der in rechtspopulistischen, rassistischen und verschwörungsgläubigen Kreisen verbreitetet ist, der von der AfD durch Werbeanzeigen finanziell unterstützt wird und der zum AfD-Kongress „Freie Medien“ in den Bundestag eingeladen wurde, war später über den Vorfall zu lesen: „Womit die Veranstalter nicht rechneten: Lambrou hatte sich Hilfe aus Russland geholt, um den vorhersehbaren skandalösen Vorfall zu dokumentieren. Den staatlichen russischen Fernsehsender Russia 24. Auf diese Weise können jetzt Millionen von Russen sehen, wie im verlogenen selbsternannten Musterland der Demokratie mit Oppositionspolitikern umgegangen wird. Es fehlten nur noch die sonst auftretenden Antifa-Schlägertruppen. …. Dank dem Filmteam bekommt nun endlich auch das Ausland mit, dass sich Deutschland im Umgang mit Oppositionspolitikern längst auf eine Diktatur zubewegt, ja bereits ein totalitäres Regime installiert hat, mit allem was dazugehört, angefangen von gleichgeschalteten regierungsfreundlichen Medien bis hin zu staatlich geduldeten Terrorbanden … Die oft von Jouwatch vorgebrachte Forderung, sich Unterstützung im Ausland zu holen, um diesen neostalinistischen Spuk zu beenden, wird endlich umgesetzt. …. Lambrou war im wahrsten Sinne mit dem russischen Bären in der Höhle des roten hessischen Löwen.“
[2] In der hessischen Landtagsfraktion ist mit Andreas Lichert ein Unterstützer der sog. „Identitären Bewegung“ vertreten, dem neuen Vorstand der AfD-Jugendorganisation gehört u.a. der ehemalige Regionalleiter der sog. „Identitären Bewegung“ an. Mitglieder der Landtagsfraktion und die Jugendorganisation sind dem völkisch-nationalistischen „Flügel“ der AfD zuzuordnen. Zum Vorstand des Wiesbadener Kreisverbands gehört z.B. auch Sascha Sindel, ein Vertreter der beobachteten Jungen Alternative Hessen, und Teilnehmer an rassistischen Demonstrationen in Kandel. Und ganz aktuell wurde bekannt, dass der Vize-Landesvorsitzende der Jungen Alternative Bremen (genauso unter VS-Beobachtung), der auch Sympathisant der Identitären Bewegung sein soll, in der Wiesbadener Geschäftsstelle eingestellt wurde.
[3] Wir gehen davon aus, dass führende Funktionäre der AfD stets versuchen, das agitatorische Spiel der Diskursverschiebung hin zu antidemokratischen und menschenfeindlichen Positionen zu betreiben, oder – wo es politisch opportun scheint -, die Macht des „Flügels“ in der AfD zu verschleiern. Es ist bekannt, dass die AfD stetig versucht, sich als Opfer zu inszenieren. Sie versucht, die berechtigte Ausgrenzung von Vertretern menschen- und demokratiefeindlicher Positionen durch wehrhafte DemokratInnen als Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit zu denunzieren.
24.9.2019 – Flugblatt von Moment mal! anlässlich des Wahlpodiums am 24. September 2018 des Evangelischen Dekanats Wiesbaden, zu dem auch Robert Lambrou als Vertreter der AfD Hessen geladen war.
Schulterschluss der AfD mit der extremen Rechten
Am 1. September 2018 kam es bei einer von AfD und Pegida angemeldeten Demonstration in Chemnitz zum Schulterschluss von führenden AfD-Vertretern mit Pegida, Identiären und neonazistischen Rechtsextremen. In Chemnitz standen AfD-Landesvorsitzende von neun Bundesländern in der ersten Reihe – das sind keine „Ausfransungen“ an den Rändern, das ist der Kern dieser Partei.
Die AfD in Hessen
Auch in Hessen sind Vertreter der extremen Rechten fest in die AfD eingebunden: Auf dem sicheren Listenplatz Nr. 5 ist Andreas Lichert nominiert. Lichert ist ein Unterstützer der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingeordneten und beobachteten „Identitären Bewegung“ (IB). Er war beteiligt an dem Kauf eines Hauses in Halle (Saale), das als Zentrum der IB genutzt wird, und er moderierte Veranstaltungen mit den führenden Köpfen der IB auf einem Videokanal der „Neuen“ extremen Rechten.
10.9.2018 – Begrüßung von Georg Habs für Moment mal! Wiesbaden zur Veranstaltung „Eine Partei als Sammlungsbewegung für Nationalkonservative und Neofaschisten“ am 5. September 2018 in Wiesbaden, gefördert von der Amadeu-Antonio-Stiftung.
Sehr geehrter Herr Speit, sehr geehrter Herr Karg,
sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
dieser Veranstaltungsort ist nicht irgendein beliebiger. Im Haus an der Marktkirche in Wiesbaden wurden immer wieder Themen zur Diskussion gestellt, die den Nerv der Zeit treffen – religiöse Themen und weltliche, beides ist eng verschränkt. Umso wichtiger erscheint mir, dass mit Herrn Michael Karg, Vorsitzender der Martin-Niemöller-Stiftung, der gleich ein Grußwort an Sie richten wird, auch ein ehemaliger Propst das Wort ergreift. In Zeiten, da der Fortbestand unserer offenen Gesellschaft auf dem Prüfstand und unter Beschuss steht, wünsche ich mir Kirchen, die glasklar Stellung beziehen.
Ich selbst stehe hier für die Initiative „Moment Mal!“ Wer ist das? Wir sind ein, zwei Handvoll Einzelpersonen ganz unterschiedlichen Alters, aus ganz unterschiedlichen Berufen, mit ganz unterschiedlichen politischen Biographien. Diese Einbettung in unterschiedliche Erfahrungs- und Erlebniswelten bedingt unterschiedliche Blickwinkel auf das politische Geschehen.
6.9.2019 – Die AfD nutzt jede Gelegenheit zur Selbstdarstellung. Wo sie das Sagen hat, hagelt es menschen- und demokratieverachtende Äußerungen. Wird die Partei dafür kritisiert, gibt sie die verfolgte Unschuld. Besonders gerne melden sich namhafte AfD-Vertreter*innen bei Veranstaltungen zu Wort, die dieses Doppel-Spiel entlarven.
Wie man souverän mit einer solchen Herausforderung umgeht, hat Manuel Wüst am 5. September 2018 im vollbesetzten großen Saal des Hauses an der Marktkirche exemplarisch unter Beweis gestellt. Nach dem Vortrag von Andreas Speit zum Thema „Extrem rechtes Netzwerk AfD – eine Partei als Sammlungsbewegung für Nationalkonservative und Neofaschisten“ moderierte er die Diskussion im Plenum. Auch Robert Lambrou, Landtagskandidat und Sprecher der AfD Hessen, begehrte Rederecht.
6.9.2019 – Grußwort bei der Veranstaltung von Moment mal! „Eine Partei als Sammlungsbewegung für Nationalkonservative und Neofaschisten“ am 5. September 2018 in Wiesbadenin Wiesbaden von
Propst i.R. Michael Karg, Vorsitzender der Martin-Niemöller-Stiftung.
Seit längerer Zeit lässt uns eine Entwicklung in unserem Land nicht mehr zur Ruhe kommen lässt. Gerade in letzter Zeit haben sich massive, menschenrechtsverletzenden Vorkommnissen unübersehbar in den Focus gerückt: Die rechtsradikalen Aufmärsche in Chemnitz, die sich als „Trauermärsche“ tarnten, mit Hitlergrüßen, mit Naziparolen, mit Haßgesängen; Pegida und führende AfD-Funktionäre Seite an Seite; Pegida-Aufmärsche in Dresden, in letzter Zeit auch mit der auf die Frage „Was soll mit den Bootsflüchtlingen geschehen?“ skandierten Antwort „Absaufen lassen, absaufen lassen!“; ein MdB, zufällig aus den Reihen der AfD, der von „Messermigration“ spricht und ein in seiner Gesinnung verwandter italienischer Innenminister, für den die auf der „Sealife“ befindlichen, aus höchster Not geretteten Bootsflüchtlinge „Menschenfleisch“ sind. Man kann die Liste unendlich fortsetzen.
Das lässt mich, und ich denke, das lässt uns nicht zur Ruhe kommen, weil hier die Grenze des „Das wird man doch wohl noch malsagendürfen“ bei weitem überschritten ist. Wann ist der rechte Zeitpunkt, aufzustehen, laut zu widersprechen? Sollte man nicht noch ein bisschen warten, ob die Welle schon an ihrem Scheitelpunkt ist und irgendwann mal bricht, oder ob sie sich noch höher aufbauscht, bis noch mehr Menschen darüber unruhig geworden sind?
Transkript der Veranstaltung „Widerstand der Vernunft – Ein Manifest in postfaktischen Zeiten“ mit Prof. Dr. Susan Neimann, am 25. Juni 2018 in Wiesbaden, Stadtverordnetensitzungssaal.
„Ich rede heute nicht über Fake-News, auch nicht über russische Bots und möglichst wenig über den Bewohner des Weißen Hauses, der von 65 Prozent seiner Landsleute so verhasst ist, dass wir Namen für ihn erfinden, damit wir seinen Namen nicht aussprechen müssen. Den Narzissmus eines Mannes, der seinen Namen auf Flugzeuge und Steaks platziert, will ich nicht bedienen.
Ich werde auch nicht über Populismus reden – ein Begriff der kaum definierbar ist –, auch wenn ich mir große Sorgen über die Entwicklung in diesem Land mache. Und ich sollte dazu sagen, dass ich vergangenen Herbst die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen habe. Weil ich trotz allem glaube, dass Deutschland große Fortschritte in Richtung Demokratie und Gerechtigkeit gemacht hat. Es gilt diese zu verteidigen!
Ich weiß nicht, wer Sie sind. Ich darf aber davon ausgehen, dass Sie weder glauben, dass Hillary Clinton während des Wahlkampfs einen Kinderpornoring aus einer Pizzeria heraus betrieb, noch dass der Brexit dem britischen Gesundheitssystem 350 Millionen Pfund pro Woche bescheren wird. Wir sind fortschrittliche, aufgeklärte Menschen, sonst wären wir nicht auf einer solchen Veranstaltung.
Sind es aber nicht gerade solche Kreise, die gar nicht mehr an Fortschritt glauben, da sie es mit unbegrenztem neoliberalem Wachstum verwechseln? Sind es nicht solche Kreise, die Aufklärung nicht nur als überholt betrachten, sondern als Quelle für Eurozentrismus und Kolonialismus?
Anmerkungen zu ausgewählten Aspekten aus Susan Neimans Aufruf „Widerstand der Vernunft – ein Manifest in postfaktischen Zeiten“. Von Georg Habs, Wiesbaden, 25. Juni 2018.
Susan Neiman plädiert für einen Widerstand der Vernunft.
Vernunft schraubt Ansprüche nicht im Sinne eines „Jetzt mach doch mal halblang“ herunter. Vernunft hält Ansprüche hoch. Vernunft hinterfragt Vorurteile und Denkgewohnheiten. Vernunft klagt belastbare Belege für Behauptungen ein. Vernunft begründet Handlungsideale und Werte.
Vernunft wird von vielen Seiten seit langem in Misskredit gebracht – als interesse-geleitetes Ideen- und Macht-Konstrukt denunziert, als „Lug und Trug“ verhöhnt.
Tatsächlich entspricht die Lebenswirklichkeit in vielerlei Hinsicht nicht unseren Gerechtigkeitsvorstellungen und Vernunftidealen – zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine Lücke. Das treibt manche zur Verzweiflung, zu Zynismus, zur Relativierung und letztlich zur Preisgabe ihrer Werte, in ohnmächtige Unterwerfung.