Schwarzbuch AfD – mit Marcus Bensmann, correctiv.org

Schwarzbuch AfD – mit Marcus Bensmann, correctiv.org

Transskript der Veranstaltung

der Wiesbadener Initiative Moment mal! Aktion für eine offene Gesellschaft

vom 6. Juni 2018

 

mit Marcus Bensmann (correctiv.org)

„Guten Abend!

Schön, dass so viele gekommen sind. Mein Name ist Marcus Bensmann, ich bin Reporter des ersten gemeinnützigen Recherchezentrums in Deutschland. In den USA ist der gemeinnützige Journalismus weiter verbreitet, hier in Deutschland war Correctiv 2014 der erste Versuch neben den öffentlich-rechtlichen und den privat finanzierten Medien eine dritte Säule zu etablieren, um so für den von der Tagesaktualität gejagten Journalismus finanzielle Räume, Zeiträume und Formate für langfristige Recherchen zu schaffen.

Bevor ich anfange, wollte ich einfach mal fragen: Sitzen hier im Publikum hauptsächlich Menschen, die die AfD mit Sorge betrachten? Oder – Sie müssen jetzt auch nicht mit dem Finger aufzeigen –  gibt es hier auch Männer oder Frauen, die schon mal überlegt haben, die AfD zu wählen oder die sie schon gewählt haben? Es würde mich einfach mal interessieren. (Ein am Rand stehender junger Mann, der während der Veranstaltung durch häufiges Reden mit seinem Nachbarn auffallen wird und der die Veranstaltung auch frühzeitig verlässt, hebt die Hand. Außerdem ein Zuruf aus dem Publikum: „Die Mitarbeiterin der Fraktionsgeschäftsstelle ist auch da.“). Ah ja, ok, sie sind Mitarbeiterin der Geschäftsstelle, sehr gut. Dann sind die Rollen im Publikum klar verteilt.

Aktuell hatten wir ja gerade wieder einen Aufreger – das Stöckchen, über das alle springen –, nämlich das Vogelschiss-Zitat von Herrn Gauland. Was ich interessant finde: Es hat dieser Partei nicht geschadet. Der Punkt scheint gar nicht so sehr zu sein, dass AfD-Politiker rechtsradikale, völkische Thesen von sich geben – sei es Leuten mit Ausweisung zu drohen, wenn sie politisch nicht kommod reden oder sei es von „Kopftuchmädchen“ zu reden oder die Schrecken der NS-Zeit mit „Vogelschiss“ zu bezeichnen –, ich glaube wir müssen einfach akzeptieren, dass wir mit der AfD eine rechtsradikal-völkische Partei haben.

Diese Partei entlarvt sich nicht durch diese Aussagen, sie ist schlichtweg rechtsradikal-völkisch.

Wie man es auch an der Ikonografie dieses Wahlplakates schön sehen kann (zeigt Bild von Gauland bei seiner „Vogelschiss“-Rede beim Bundeskongress der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative im thüringischen Seebach). Hier wird im Grunde genommen mit der Symbolik, Farbgebung und der Schattenwurf genau die Stimmung erzeugt, wie diese Partei sein will. Sie will eine völkisch-rechtsradikale Partei sein, die dieses parlamentarische System, die Bundesrepublik als solches, als Land in der Westbindung, in der EU-Integration, ablehnt.

Ich glaube, es hat immer rechtsradikale Menschen gegeben in der Bundesrepublik, die auch den zweiten Weltkrieg wieder erklären wollten oder sich über die Autobahnen freuten – aber die waren eingekapselt. Die waren nicht sichtbar. Die waren oft in der CDU, aber auch bei anderen Parteien, in der FDP, und selbst in der SPD gab es immer Leute, die irgendwelche entsprechenden Gedanken hatten – aber die gingen nicht weiter als bis zu ihrem Stammtisch.

Mit der AfD wird relevant, was Strauß immer wieder gesagt hat: Es darf in Deutschland keine demokratisch legitimierte Partei rechts von der Union geben. Ich glaube, dieser Spruch diente nicht nur der Machterhaltung der CDU, sondern es war eine Besorgnis, die da Ausdruck fand, dass wenn es rechts von der Union eine Partei gibt, die sich parlamentarisch etabliert, sich wie bei kommunizierenden Röhren automatisch die Jauchegrube der NS-Zeit öffnet. Das können wir jetzt bei diesen AfD-Äußerungen sehen, die dann zwar immer wieder relativiert werden und als Einzelfall dargestellt werden, aber systematisch eine NPD- und NS-Nähe herstellen.

Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Erkenntnis: Es bringt nichts, sich über die einzelne Äußerung zu empören. Wir müssen akzeptieren, dass das, was die Bundesrepublik seit dem Ende des zweiten Weltkriegs, seit ihrer Gründung, im erfolgreichsten Teil ihrer Geschichte, geschafft hat, nämlich nach dem Horror der Nazizeit über die Westintegration und die parlamentarische Demokratie wieder ein zivilisiertes Land zu werden, dass das nun von einer Partei in Frage gestellt wird. Das ist unsere parlamentarische Realität.

Jetzt könnten sie natürlich wieder sagen: Das ist „Lügenpresse“, „Wir sind nicht rechtsradikal“, „Wir vertreten ein breites Spektrum“, „Wir sind die Retter der Demokratie“ – aber die Analyse, wo die AfD hinkommt, kommt vom AfD-Bundesvorstand selber. Die findet sich nämlich im Ausschlussverfahren gegen Björn Höcke. Björn Höckes unsägliche Rede in Dresden, die leider häufig fokussiert wurde auf das „Mahnmal der Schande“, enthielt viele weitere demokratieverachtende Elemente: das Wort „Halbe“ aus der NS-Propaganda, die Verächtlichmachung des parlamentarischen Systems und der Abgeordneten als „Fresssäcke“, die Beschwörung einer „Schleusenzeit“ und eines „vollständigen Sieges“ – diese Rede ist so mit völkischen und NS-Anleihen gespickt, dass selbst der AfD-Vorstand  beschlossen hat, den Mann auszuschließen, und das in einem seitenlangen Antrag begründet, den wir als Correctiv veröffentlicht haben (correctiv.org/recherchen/neue-rechte/artikel/2017/12/01/er-passt-besser-die-npd/).

Und wir konnten auch nachweisen, dass Höcke unter einem Pseudonym für eine NPD-Zeitung geschrieben hat.

Die Tatsache, dass die AfD nicht in der Lage ist, diesen Mann aus der Partei zu werfen, sondern Höcke jetzt sein von nationalsozialistischen Ideen getragenes, sozusagen einen völkischen Sozialismus kreierendes Rentenprogramm bei der Partei ins Rennen werfen kann, zeigt, dass die AfD eine vom eigenen Vorstand zertifizierte Partei mit NPD-Nähe ist.

Vor einem Jahr war ich in Erfurt bei der Maimanifestation von diesem Herrn Höcke. Bemerkenswert ist auf jeden Fall schon mal, dass dort ein Plakat mit einem Konterfei vorangetragen wurde.

Es waren dort mehrere Tausend Menschen mit Kindern, normale Menschen, keine Skinheads, sondern wie man sagt: aus der „Mitte der Gesellschaft“. Und während ich durch diese Demonstranten ging, waberte permanent ein antisemitischer Stimmungston durch die Reihen. „Das große Problem ist nicht der Moslem, sondern das angelsächsische Kapital.“ Das wird als Bedrohung angesehen. Ich war auf sehr vielen AfD-Veranstaltungen, aber als ich von dieser Manifestation zurückgekommen bin, habe ich mir gedacht, wie schön waren die Zeiten, als man sich über Westerwelle empört hat. Ich hatte nie gedacht, dass man sich tatsächlich mit dieser völkischen Ideologie konfrontieren müsste, mit dieser Ablehnung der universellen Menschenrechte, mit der Ablehnung des parlamentarischen Systems. Dass das alles wieder in Frage gestellt würde – und dass es mal nicht sicher sein würde, dass diese politische Auseinandersetzung gewonnen werden kann.

Aber wie geht man denn jetzt damit um? Empört man sich jetzt andauernd über diese Partei? Wie gesagt, ich glaube, wir sollten konstatieren: Es ist eine rechtsradikale Partei, es ist eine völkische Partei. Dabei sollten wir es den Repräsentanten der AfD keineswegs durchgehen lassen, wenn sie sagen: „Ach, das müssen wir wieder erklären, das mit dem Vogelschiss war ja ganz anders gemeint“. Denn es geht hier um eine gesetzte, aus der tiefsten Seele der Partei kommende Ideologie, ein vom eigenen Vorstand mit „NS-Nähe“ attestierter Programmpunkt. Aber wir müssten offensiver mit den Errungenschaften herausgehen, die diese Bundesrepublik, die ja von der AfD als „Kanzlerdiktatur“ diffamiert wird, vorzuweisen hat, um die Wähler wieder zu überzeugen.

Dabei gibt es einen sehr großen Unterschied zwischen dem bundesrepublikanischen Konservatismus, der von Adenauer und Kohl getragen wurde, und der AfD: die Westbindung, die europäische Integration, der Euro. Das sind Säulen, die die CDU, als sie nach dem zweiten Weltkrieg die Verantwortung in der Bundesrepublik übernommen hat, errichtet hat, auf der die Bundesrepublik ihre erfolgreiche Geschichte führen konnte. Und das Ergebnis dieser Westintegration und europäischen Integration ist die deutsche Einheit. Das ist eigentlich der größte Erfolg.

Faszinierend, dass die AfD genau dagegen opponiert. In der berühmten Rede über „den afrikanischen Ausbreitungstyp“, sagte Höcke einen weiteren sehr interessanten Satz, er sagt, dass als die Mauer gefallen ist, habe er und sein Vater geweint, weil sie befürchteten, dass die über Jahrhunderte gewachsene Vertrauensgemeinschaft in der DDR nun durch die Multikulturalisierung zerstört wird.

Die AfD sieht also die DDR als ein von Stasi und Mauer beschütztes Terrarium für Germanien. Und hier finden wir ein hervorragendes politisches Feld, das bearbeitet werden will: Wo seid ihr eigentlich mit eurer Vaterlandsliebe? Verachtet ihr die Bundesrepublik nicht eigentlich? Björn Höcke sagt auch, der 3. Oktober sei nicht sein Feiertag. Weil er die Konsequenz der deutschen Einheit über die europäische Integration, über die Westbindung nicht als Erfolg akzeptieren will. Dass diese Partei mit Putin und Assad eine größere Geistesnähe hat als mit der europäischen Integration, ist auch bezeichnend. In diesen außenpolitischen Überzeugungen haben AfD und der Konservatismus der Bundesrepublik nichts gemein.

Der Dschinn ist aus der Flasche, die Bundesrepublik muss sich leider mit einer rechtsradikalen Partei im Parlament abfinden. Die Frage ist nur, ob sie über 10 Prozent wächst. Und hier glaube ich, ist es ganz wichtig, dass man die Partei inhaltlich stellt.

Der Weg ist also nicht, dass die anderen Parteien sich immer wieder auf die unsäglichen Äußerungen stürzen und diese permanent in Talkshows besprechen. Wir haben gesehen, dass das nicht zum Ziel führt, es scheint der AfD nicht zu schaden. Viel wichtiger wäre es, wichtige soziale Fragen wie zum Beispiel die Sicherheit des öffentlichen Raums nicht der völkischen Lösung zu überlassen. Die völkische Lösung, die von der AfD getragen wird, wird angesteuert über den „Großen Austausch“ und Aussagen wie „Das deutsche Volk geht seinem mathematischen Ende entgegen“, wie Herr Meuthen sagt, oder man würde „islamisiert“, wie Frau von Storch predigt – dabei ist sie als radikale Klerikale in ihrem Familienbild und ihren Moralvorstellungen dem IS näher als einer freiheitlichen Demokratie.

Dieses Bild, das die Partei aufbaut, das müssen wir inhaltlich stellen. Die Frage, dass das deutsche Volk zu Ende geht, ist eine absurde Diskussion. Wenn ich eine politische Idee mit der apokalyptischen Drohung eines Untergangs verbinde, töte ich jeden Diskurs. Denn derjenige, der dagegen argumentiert, ist dann ein Steigbügelhalter des Untergangs. Und damit ist er nicht mehr mein politischer Opponent, sondern gleich der Gegner meines Volkes, welches, „wenn wir nicht drankommen“, untergehen würde.

Und die völkische Idee, dass das „Eigene“ vom „Fremden“ bedroht wird und dass das „Eigene“ sich daher zur Wehr setzen muss, und dass die Demokratie nicht in der Lage ist, dass Eigene zu schützen – das ist eine alte Platte, die auch in Weimar eingesetzt wurde. Damals war der Gegner des deutschen Volkes das Judentum, nun ist es der Islam. Das ist austauschbar: Es wird ein entmenschlichter Feind gezeichnet und demgegenüber das Volk – es gilt nicht mehr das Individuum, es gilt das Volk, die Identität. Wie absurd: Identität kann nur individuell sein, aber bei den Völkischen gehört die Identität zu einem Kollektiv, das über die individuelle Freiheit seinen Hammer fallen lässt.

Für die Sicherstellung des öffentlichen Raumes braucht man nicht die Angst vor dem „Volkstod“ oder einer „Islamisierung“, sondern schlichtweg intelligente Sicherheitskonzepte. Warum lässt sich die Linke den Sicherheitsbegriff von den Völkischen aus den Händen nehmen? Sicherheit ist ein linkes Thema: Der Reiche kann in eine Guarded Community ziehen und seine Kinder auf die Privatschule schicken.

Und dann gibt es noch die soziale Frage. Die AfD versucht den Spagat zwischen einerseits der neoliberalen Professorenpartei, von der sie ja eigentlich gekommen ist und der Weidel, Meuthen und Lucke angehörten, und andererseits einer national-sozialistischen Idee. Da ist Kay Gottschalk, da ist Guido Reil und Björn Höcke, die denken ziemlich in einer Richtung. Höcke beschwört irgend so ein „Zunftwesen der ehrlichen Handwerker“ und baut demgegenüber auf „das böse angelsächsische Kapital“, was eben diesen „ehrlichen Handwerker“ bedroht. Von dieser Lesart ist es wirklich nur noch ein so kleiner Sprung zum Antisemitismus! Und natürlich muss da die SPD, müssen die sozialen Parteien versuchen, sich nicht nur immer wieder über die unsäglichen Aussagen zu empören, sondern auch programmatisch liefern. Sich also nicht zu verlieren in Debatten, sondern die soziale Frage zu thematisieren und klarzumachen, dass niemand diese völkische Lösung braucht.

Dass wir das Aufkommen der populistischen, rechtsradikalen und völkischen Parteien nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern Europa beobachten, ist mit der Propaganda in den sozialen Netzwerken verbunden. Wie die Nazis das Radio benutzten für ihren Aufstieg, so nutzen die populistischen Parteien die sozialen Netzwerke. Und wir wissen über Cambridge Analytics, dass ganze Datenbanksätze missbraucht wurden, um gezielt Menschen mit Fake News zu emotionalisieren und damit Politik zu machen.

Wir bei Correctiv haben vor der Bundestagswahl beobachtet, dass gewisse Nachrichten ganz gezielt gespielt wurden. So gab es zum Beispiel eine langseitige Berichterstattung, dass der Vater von Martin Schulz ein KZ-Aufseher gewesen sei. Völlig absurd. Aber diese Geschichte hat keiner mitbekommen, sie wurde gezielt über Algorithmen in russlanddeutsche Freundeskreise bei Facebook gespielt. Hier konnte man gut sehen, wie eine Geschichte lanciert und weitergeklickt wurde, ohne dass andere Menschen, Interessengruppen mit Richtigstellungen hätten eingreifen können.

Deswegen ist es so wichtig für kommende Wahlen, dass die Parteien, die die Demokratie in unserem Land stützen, lernen, mit den sozialen Netzwerken zu arbeiten. Wir haben das in Europa, in den USA und auch in Großbritannien bisher den Populisten und den Völkischen überlassen, und sie haben dort große Triumphe gefeiert. Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung ist es also hochwichtig, auch bei den jetzt kommenden Landtagswahlen, genau hinzusehen, wie bei den sozialen Netzwerken gearbeitet wird.

Ein anderer Punkt ist natürlich die Finanzierung. Die AfD wird seit einigen Jahren unterstützt von einem Verein, der für sie Plakate klebt. Die AfD zuckt mit den Schultern und sagt: „Das ist nicht abgesprochen, dass die uns unterstützen, wir haben damit nichts zu tun.“ So werden Millionen in die Wahlkämpfe hineingepumpt und wir wissen nicht, wer hinter diesen Geldern steckt. Das ist eine Lücke im Parteiengesetz! Es ist hochwichtig, dass demokratische Parteien hier eine Änderung herbeiführen.

Neben diesem Verein gibt es die berühmte „Goal AG“, die als Postadresse des „Vereins für Rechtstaatlichkeit“ fungiert und ganz individuell Jörg Meuthen unterstützt. Und Guido Reil hat sich von der „Goal AG“ eine ganz persönliche Wahlkampagne finanzieren lassen. Und wieder konnte die Partei sagen: „Das ist ja keine Parteispende!“, weil die Spende nur an den einzelnen Kandidaten gegangen ist (siehe hierzu die Correctiv-Recherche correctiv.org/recherchen/neue-rechte/artikel/2017/07/13/schweizer-plakatgeheimnis/ und correctiv.org/recherchen/neue-rechte/artikel/2017/08/29/meuthen-und-die-spende-aus-der-schweiz).

Neben den inhaltlichen Auseinandersetzungen, die geführt werden sollten, muss es also auch eine strategische Auseinandersetzung im Wahlkampf geben: Wie gehen wir mit sozialen Netzwerken um? Wir haben längst die Kontrolle verloren, wo irgendwelche Bots manipulierend wirken, welche Trollfabriken ihren Stempel aufdrücken und wie mit Fake News gezielt ganze Gruppen hysterisiert werden. Und wir wollen wissen, wo die Gelder herkommen –  es geht hier um Millionen.

Und inhaltlich? Bisher schafft es die AfD, alle Themen mit „Flüchtlingen“ zu beantworten. Aber so viele Flüchtlinge kann es ja gar nicht geben, um das alles gegenzurechnen! In der aktuellen Rentendiskussion zum Beispiel liegt in der AfD ein interessanter Konflikt mit auf der einen Seite den „Professoren“, auf der anderen Seite den national-sozialistischen Romantikern. Die Frage ist, wie dieser Konflikt öffentlich gemacht werden sollte. Da möchte man den politischen Parteien nur raten, den Finger in die Wunde zu legen! Wie kann es sein, dass eine Partei auf der einen Seite sagt, wir wollen die Steuern senken, wir wollen keine Schulden machen, wir wollen Schulden zurückzahlen und wir wollen die Staatsausgaben senken –  und gleichzeitig denjenigen, die von ihr als Klientel gesehen werden, soziale Wohltaten versprechen.

Ich glaube, da ist im politischen Diskurs ein großer, noch nicht entdeckter Raum, den die Parteien und auch die Öffentlichkeit im Gespräch mit Sympathisanten der AfD nutzen sollte: „Lassen wir mal die Flüchtlinge weg – aber wir müssen uns ja auch um die Schulen kümmern, wir müssen uns um die Rente kümmern, wir müssen uns um die Steuern kümmern. Zeigt doch mal eure Konzepte!“ Da würde man die Widersprüchlichkeiten nämlich sehen, noch und nöcher. Und dann wäre es interessant, wie die Partei mit diesem Konflikt umgeht.

Ich denke, es wird viel zu defensiv gearbeitet. Wenn von „Staatsversagen“ geredet wird, eine „Kanzlerdiktatur“ beschworen wird, so ist das ein Misstrauensvotum gegen unsere Demokratie. Dabei ist es die Exekutive, die eine Entscheidung trifft, und das Parlament, das diese Entscheidung nicht korrigiert. Es gibt also keinen Rechtsbruch. Trotzdem werden oft diese Schlüsselworte durchsickern gelassen, man widerstrebt dem nicht. Genauso, wenn eine Verbindung hergestellt wird, dass Länder, die Geflüchtete aufgenommen hätten, mehr Terrorprobleme hätten – dabei lässt sich das gar nicht feststellen! Vier Länder haben sehr viele Geflüchtete aufgenommen, Griechenland, Italien, Österreich und Deutschland. In Griechenland hat es keinen einzigen Terroranschlag gegeben. In Italien hat es keinen einzigen Terroranschlag gegeben. In Österreich auch nicht. Und in Deutschland waren es Anschläge von einzelnen Personen. Die großen, organisierten Gruppenattacken, die hat es in Frankreich, England, Belgien und Spanien gegeben –  die haben gar keine Flüchtlinge aufgenommen!

Und dann sagt Herr Maas vom Verfassungsschutz, sehr auffällig sei, dass die Polizei und der Staatsschutz im Zusammenhang mit Terrorismusbekämpfung viele Hinweise bekommen von syrischen Flüchtlingen. Ganz viele Anschläge wurden vereitelt, weil diese Leute frühzeitig Hinweise gegeben hätten. Das ist dann so eine kleine Meldung. Dabei ist es eine zentrale Meldung, weil sie nämlich die These, das „Eigene“ wird vom „Fremden“ bedroht, auf den Kopf stellt. Warum werden solche Argumente nicht besser genutzt?

Ich sage aber auch: Man soll nicht verzweifeln. Wir sind noch nicht in der Situation wie in Italien, wir haben es noch mit 10 Prozent zu tun. Wir sollten sagen: Diese Republik, die hat natürlich Probleme, aber die können wir in einem demokratischen Diskurs lösen, dazu brauchen wir keine völkische Ideologie.

Dabei sollten wir der AfD nicht mehr die Möglichkeit geben zu sagen, sie würde aus drei Strömungen bestehen. Nein! Ihr wart mal drei Strömungen. Die Alternative Mitte ist im Grunde genommen nicht mehr da. Mit der Hinnahme, dass Björn Höcke weiter in der Partei ist, seid ihr das, was die AfD selbst euch zugeschrieben hat, nämlich eine Partei mit NS-Nähe.

Und ich möchte die Menschen ermuntern, sich nicht zurückdrängen zu lassen, sondern für die Errungenschaften, die diese Bundesrepublik, mit Westbindung, mit europäischer Integration und mit dem Euro geschaffen hat, zu streiten. Und wenn Kay Gottschalk jetzt so en passent sagt, der Euro muss abgeschafft werden – Deutschland profitiert am meisten vom Euro, wie viele Arbeitsplätze hängen dran? Wo ist der Aufschrei der Menschen: „Nein, das ist ein Teil unseres Wohlstandes! Wir lassen uns nicht unsere wirtschaftliche Basis angreifen von dieser Partei.“

Wir müssen raus aus der Defensivhaltung. Es gibt genug Gründe dafür.“

Marcus Bensmann (correctiv.org)

> Vollständiges Transskript zum Download als PDF: Bensmann_Transskript_öff

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