6.9.2019 – Grußwort bei der Veranstaltung von Moment mal! „Eine Partei als Sammlungsbewegung für Nationalkonservative und Neofaschisten“ am 5. September 2018 in Wiesbadenin Wiesbaden von
Propst i.R. Michael Karg, Vorsitzender der Martin-Niemöller-Stiftung.
Seit längerer Zeit lässt uns eine Entwicklung in unserem Land nicht mehr zur Ruhe kommen lässt. Gerade in letzter Zeit haben sich massive, menschenrechtsverletzenden Vorkommnissen unübersehbar in den Focus gerückt: Die rechtsradikalen Aufmärsche in Chemnitz, die sich als „Trauermärsche“ tarnten, mit Hitlergrüßen, mit Naziparolen, mit Haßgesängen; Pegida und führende AfD-Funktionäre Seite an Seite; Pegida-Aufmärsche in Dresden, in letzter Zeit auch mit der auf die Frage „Was soll mit den Bootsflüchtlingen geschehen?“ skandierten Antwort „Absaufen lassen, absaufen lassen!“; ein MdB, zufällig aus den Reihen der AfD, der von „Messermigration“ spricht und ein in seiner Gesinnung verwandter italienischer Innenminister, für den die auf der „Sealife“ befindlichen, aus höchster Not geretteten Bootsflüchtlinge „Menschenfleisch“ sind. Man kann die Liste unendlich fortsetzen.
Das lässt mich, und ich denke, das lässt uns nicht zur Ruhe kommen, weil hier die Grenze des „Das wird man doch wohl noch malsagendürfen“ bei weitem überschritten ist. Wann ist der rechte Zeitpunkt, aufzustehen, laut zu widersprechen? Sollte man nicht noch ein bisschen warten, ob die Welle schon an ihrem Scheitelpunkt ist und irgendwann mal bricht, oder ob sie sich noch höher aufbauscht, bis noch mehr Menschen darüber unruhig geworden sind?
Martin Niemöller, der Namensgeber und Patron unserer Martin-Niemöller-Stiftung, nach acht Jahren KZ 1945 befreit, von 1946 bis zu seinem Tod 1984 Bürger von Wiesbaden, erster Kirchenpräsident der EKHN, Ehrenbürger dieser Stadt – Martin Niemöller hat einmal, lange nach dem Krieg, in einer Diskussion, nicht vorbereitet, folgenden Satz geprägt, der damals nicht mitprotokolliert wurde und deshalb in mehreren Varianten in Umlauf ist – ich sage die mir bekannte:
„Als sie die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen. Denn ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten geholt haben, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten war keiner mehr da, der etwas sagen konnte.“
Wann ist der richtige Augenblick, aufzustehen und sich zu widersetzen? Ich würde sagen, immer dann, wenn die Würde von Menschen, nicht nur meine eigene Würde, in Gefahr steht, verletzt zu werden. Wenn führende AfD-Funktionäre wie Alice Weidel die schlimme Tat von Chemnitz als Anlass nutzen, um alle Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen und gegen sie zu hetzen.
Es gibt Widerspruch dagegen, gottseidank, u.a. auch von Seiten der Kirche und leitenden kirchlichen Würdenträgern. Bischof Heinrich Bedford-Strom, der bayerische Landesbischof und zugleich Ratsvorsitzende der EKD, kritisiert die Äußerung Weidels als „unnötige Begleitmusik“ eines traurigen Vorfalls in Chemnitz. Kardinal Reinhard Marx – in seiner bulligen Art manchmal sehr deutlich – zieht eine Trennlinie zwischen AfD und Christen mit den Worten: „Es gibt eine gewisse Bandbreite des politischen Engagements, aber es gibt auch eine rote Linie“. Die sieht er dort, „wo Parolen zur Feindschaft beitragen – da kann ein Christ eigentlich nicht dabei sein“, sagt er.
Wir als Kirche – und ich spreche hier als ehemaliger Propst, als Mitglied des Leitenden Geistlichen Amtes und der Kirchenleitung der EKHN, dazu ehrenamtlich seit acht Jahren Vorsitzender der Martin-Niemöller-Stiftung – wir als Kirche mit all denen zusammen, die ähnlich beunruhigt sind angesichts solcher Vorfälle und Tendenzen: Wir wollen mit dazu beitragen, dass dies alles nicht nur bedauert, sondern dass dem entgegengewirkt wird.
Es geht darum, nicht nur Vorfälle und Entwicklungen zu bedauern, sondern auch Verantwortliche zu benennen: Bewegungen; Parteien wie die AfD, die führende Funktionäre mit Vernetzungen ins rechtsradikale Lager in ihren Reihen dulden, deutlich zu benennen.
Dazu brauchen wir Aufklärung, gute Argumente, klare Analysen, um darauf aufbauend miteinander und unabhängig davon, ob wir uns als Christen verstehen – ich möchte hier auch niemanden vereinnahmen – , oder ob wir uns aus anderen Motiven engagieren –, damit wir Strategien gegen diese menschenverachtenden Tendenzen entwickeln und sie gemeinsam angehen.
Deshalb sind wir als Martin-Niemöller-Stiftung Mitträger der Veranstaltungsreihe von „Moment mal!“, und ich erhoffe heute Abend von unserem Referenten Andreas Speit wichtige Impulse für diese Arbeit.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!