Anmerkungen zu „Widerstand der Vernunft“

Anmerkungen zu „Widerstand der Vernunft“

Anmerkungen zu ausgewählten Aspekten aus Susan Neimans Aufruf „Widerstand der Vernunft – ein Manifest in postfaktischen Zeiten“. Von Georg Habs, Wiesbaden, 25. Juni 2018.

Susan Neiman plädiert für einen Widerstand der Vernunft.

Vernunft schraubt Ansprüche nicht im Sinne eines „Jetzt mach doch mal halblang“ herunter. Vernunft hält Ansprüche hoch. Vernunft hinterfragt Vorurteile und Denkgewohnheiten. Vernunft klagt belastbare Belege für Behauptungen ein. Vernunft begründet Handlungsideale und Werte.

Vernunft wird von vielen Seiten seit langem in Misskredit gebracht –  als interesse-geleitetes Ideen- und Macht-Konstrukt denunziert, als „Lug und Trug“ verhöhnt.

Tatsächlich entspricht die Lebenswirklichkeit in vielerlei Hinsicht nicht unseren Gerechtigkeitsvorstellungen und Vernunftidealen – zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine Lücke. Das treibt manche zur Verzweiflung, zu Zynismus, zur Relativierung und letztlich zur Preisgabe ihrer Werte, in ohnmächtige Unterwerfung.

Aber es gab und gibt eine gegenläufige Realität: Tatsächlich wirken unzählige Menschen in unterschiedlichsten Projekten der Entstehung vermeidbaren menschlichen Leids entgegen – im Einzelfall und im Versuch, strukturelle Veränderungen und Verbesserungen durchzusetzen.

Aufklärung und der Widerstand der Vernunft sind keine Hirngespinste, sondern praktische Aufgaben, denen viele Menschen Tag für Tag handfeste Erfolge, Sinn und Lebensfreude abgewinnen.

Manche werden sich denken, nur auf solche Taten komme es an, den Streit um Worte könne man sich sparen.

Ich sehe das anders:

Der Hass auf Minderheiten wuchert nicht einfach aus gesellschaftlichen Problemen, Spannungen und Defiziten hervor – er wird mit Worten befeuert, mit Worten in ein „Wir gegen Ihr“ umgemünzt, zu mitleidlosem Egoismus aufgestachelt.

Im Wissen darum, wie wichtig Sprache für die Erlangung der Diskurs-Hoheit ist, verkehren Demokratiefeinde Begriffe wie „Diktatur“ und „Meinungsfreiheit“ systematisch in ihr Gegenteil, denunzieren „Toleranz“ als „Gewalt“, „Flucht“ als „Angriff“.

Der Sinn-Entleerung und Sinn-Verkehrung von Begriffen bei jeder sich bietenden Gelegenheit entgegenzutreten, scheint mir wichtig, um zu verhindern, dass die bitterböse Dialektik des „Neusprech“ aus „1984“ sich in den öffentlichen Debatten von heute weiter festsetzt und sie bestimmt.

Eine Kultur sprachlicher Achtsamkeit ist da ein wichtiges Gegenmittel.

Ein Beispiel: Der AfD-Chef Alexander Gauland hat bekanntlich am 2. Juni die zwischen 1933 und 1945 im deutschen Namen begangenen und von langer Hand vorbereiteten Verbrechen wider die Menschlichkeit als einen „Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ bezeichnet.

Der Völkermord an den europäischen Juden, der Völkermord an den Sinti und Roma, die systematische Ausgrenzung, Entrechtung, Verfolgung und schließlich Vernichtung all derer, die von der Rasse-Ideologie der Nazis als Volksgefährdung gebrandmarkt wurden, sind alles andere als ein „Vogelschiss“.

Die mitleidlose Bösartigkeit von Gaulands Kernbotschaft hat viele davon abgelenkt, welch rechtsradikales Gedankengut er mit seiner Äußerung ganz nebenbei recycelt hat. „Vogelschiss“ steht in rechtsradikalen Kreisen für „Nestbeschmutzung“. „1000 Jahre“ kennzeichnen den brutalen Größen- und Ermächtigungswahn von alten und neuen Nazis – das Streben nach einer autoritären Herrschaftsordnung ohne Ende. Die AfD bedient rechtsradikale Netzwerke mit solchen Versprechungen und setzt parallel dazu die allgemeine Öffentlichkeit mit ihren Provokationen in hilflose Erregung.

Auch die vorgebliche Beschwichtigung, die Alexander Gauland am 2. Juni in der FAZ routiniert nachgeschoben hat, folgte dieser Doppelstrategie. Wörtlich heißt es dort: „Ich habe den Nationalsozialismus als Fliegenschiss bezeichnet. Das ist eine der verachtungsvollsten Charakterisierungen, die die deutsche Sprache kennt. Das kann niemals eine Verhöhnung der Opfer dieses verbrecherischen Systems sein.“

Die öffentlichen Erregungswellen flachten bald wieder ab. Der „Inner Circle“ der Rechtsradikalen aber freute sich klammheimlich. „Fliegenschiss“ steht für eine völlig unbedeutende Kleinigkeit – Gauland hat also nachgelegt, die Erinnerung an die Verbrechen der Nazi-Diktatur doppelt herabgewürdigt als Beschäftigung mit einer historischen Petitesse und als eklige Nestbeschmutzung.

Warum erscheint mir dieser Hinweis wichtig? Über diese Doppelstrategie aufzuklären, macht es Menschen, die der AfD bei Wahlen ihre Stimme geben, vielleicht etwas schwerer zu behaupten, sie wüssten nicht was sie tun, sie hätten nicht absehen können, welchen Schaden sie damit der Demokratie zufügen.

Doch solche Aufklärung muss Ziel gerichtet und kühlen Kopfes erfolgen, darf sich in der blinden Skandalisierung von AfD-Provokationen nicht derart verbeißen, dass wir uns deren Themenvorgaben unterwerfen.

Klimawandel und Insektensterben, die Aushöhlung der Gewaltenteilung in EU-Mitgliedsstaaten, die weltweite Spaltung von Arm und Reich, der einsetzende internationale Handelskrieg – ellenlang ist die Liste der Themen, bei welchen ein Streit um die richtigen Lösungen überfällig ist. Diese Themen gehören ins Zentrum der öffentlichen Debatte.

Einen solchen Themenwechsel immer wieder sich selbst, Medienvertretern und der verfassten Politik abzuverlangen, mag einem recht instrumentellen Verständnis von Vernunft entsprechen, scheint mir aber unverzichtbar, um der AfD und anderen völkischen Populisten langfristig das Wasser abzugraben.

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