PRESSEERKLÄRUNG – Moment mal! und Kulturzentrum Schlachthof starten defend democracy! Kampagne
Eine hochkarätig besetzte Veranstaltungsreihe zur Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft und eine sichtbare Präsenz des Mottos defend democracy! in der Stadt: Mit einer gemeinsamen
Kampagne rufen die Initiative Moment mal! – Aktion für eine offene Gesellschaft und das
Kulturzentrum Schlachthof dazu auf, den Protest gegen die Angriffe auf die Demokratie seitens rechtsextremer Kräfte weiterzutragen. Damit setzen die beiden Organisationen ihre bewährte Zusammenarbeit fort.
In dem Jahr, in dem sich die rechtsextreme AfD anschickt, in drei Bundesländern zur stärksten
Fraktion im Landtag zu werden und immer mehr Verstrickungen rechtsradikaler Politiker in die
hybride Kriegsführung des Kremls offenkundig werden, bündeln Moment mal! und der Schlachthof Wiesbaden ihre Kräfte.
Fünf Veranstaltungen sind im Rahmen der Reihe defend democracy! über das Jahr hinweg bereits
terminiert. Zu Gast sein werden u.a. Dr. Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte, Stephan Kramer, streitbarer Verfassungsschutz-Chef in Thüringen, und Marcus Bensmann, als Redakteur bei CORRECTIV an den Recherchen zum „Geheimtreffen“ beteiligt. Zur ersten Veranstaltung ist Prof. Markus Linden am 14. Mai 2024 unter dem Titel „Weimar 2.0?“ eingeladen, abgeschlossen wird das Jahresprogramm kurz vor den US-Wahlen mit Annika Brockschmidt, einer Beobachterin der demokratiegefährdenden Entwicklungen in den USA.
„Jeder Besuch ist ein Statement für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit, jede unserer Veranstaltungen ist eine öffentliche Demonstration“, sagt Claudia Sievers von Moment mal! dazu. „Und jeder Besuch ist ein Bekenntnis zur Demokratie. Gegen Autoritarismus und Desinformation einzustehen, ist die Aufgabe von uns allen.“
defend democracy! soll das ganze Jahr über im öffentlichen Raum Wiesbadens präsent sein: mit
großen Präsenzveranstaltungen, mit Podcasts und Video-Interviews, mit Plakaten, Flyern, Bannern und einer starken Online-Präsenz – immer mit dem Ziel, die Abwehrkräfte der Stadtgesellschaft gegen rechte Beeinflussung zu stärken.
Der Schlachthof unterstreicht das Ziel der Kampagne: „Der Protest der Zivilgesellschaft für den Erhalt der Demokratie und eine freie und vielfältige Gesellschaft darf nicht aufhören. Wir sehen uns in der Verantwortung, Teil dieses Protests zu sein und für die Bewahrung von Demokratie einzustehen.“ sagt Carsten Schack. Und Hendrik Seipel-Rotter ergänzt: „Rechtsradikalen und Faschist:innen darf in unserem Land nie mehr Gestaltungshoheit gegeben werden.“
In diesem Jahr gingen in Deutschland Millionen Menschen auf die Straße. Sie demonstrierten für die Demokratie und gegen eine AfD, die von Rechtsextremisten bestimmt wird, die hinter verschlossenen Türen mit Gleichgesinnten Pläne schmiedet, wie sie Menschen aus dem Lande vertreibt, die nicht in ihr Weltbild passen. Einmal an der Macht, wird die AfD die Hebel so umlegen, dass ihr die Macht nicht mehr genommen werden kann.
Jede unserer Veranstaltungen ist eine öffentliche Demonstration. Jeder Besuch ist ein Statement für die Demokratie. Jeder geteilte Inhalt setzt ein Zeichen und jeder Bericht dokumentiert, wie viele Menschen die rechtsradikalen Pläne als ernsthafte Gefahr begreifen.
Wir nehmen die demokratischen Parteien in die Pflicht: Ihre Verantwortung ist es, die Brandmauer gegen die rechtsextreme AfD aufrechtzuerhalten und alle Mittel der wehrhaften Demokratie gegen die AfD und ihre Vorfeldorganisationen einzusetzen. Parteitaktisches Kalkül darf keine Rolle spielen.
Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der man ohne Angst verschieden sein darf.
Es war, ist und bleibt höchste Zeit für die Verteidigung der Demokratie. Je länger wir warten, desto mehr Mut werden wir brauchen.
14. Mai 2024, Schlachthof Wiesbaden
mit Prof. Markus Linden, Politikwissenschaftler
Steht die Demokratie auf der Kippe? Ist die Rechte wirklich so gefährlich? Prof. Markus Linden zeigt in seinem Vortrag, wie die Strategien der Neuen Rechten auf neue Krawallöffentlichkeiten zielen und welche Akteure daran beteiligt sind.
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29. Mai 2024, Schlachthof
Stephan Kramer (Präsident des Amtes für Verfassungsschutz Thüringen) im Gespräch mit dem Journalisten Martìn Steinhagen
In thüringischen Landtag stellt die rechtsextreme AfD aktuell die drittgrößte Fraktion. Geführt wird sie von den Rechtsextremisten Björn Höcke und Stefan Möller. Gleichzeitig sind in Thüringen eine starke gewaltorientierte Neonaziszene, eine wachsende Zahl „Reichsbürger“ sowie verschwörungsideologische und demokratiefeindliche rechtsoffene Mischszenen zu beobachten. Mehr als ein Grund also, einen Blick auf die Situation im benachbarten Bundesland zu werfen. Über die konkrete Gefahr von Rechtsaußen sprechen wir mit Stephan Kramer, Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen, der seine Sicht zum „Lagebild Rechtsextremismus“ schildern wird.
Zur Dokumentation der Veranstaltung >>
17. Juli 2024, Schlachthof Wiesbaden
mit Marcus Bensmann, Recherchekollektiv CORRECTIV
Der Angriff der AfD auf die Demokratie begann nicht erst mit dem Potsdamer Geheimtreffen im November 2023. Ob illegale Parteispenden aus dem Ausland oder die Abkehr aus der Westbindung und das angekündigte Ende der universellen Menschenrechte in einer ‚multipolaren Weltordnung‘ an der Seite von Russland und China oder der Masterplan, um Millionen Menschen aus Deutschland zu vertreiben: Der Investigativjournalist Marcus Bensmann berichtet von den gebündelten Recherchen des gemeinnützigen Medienhauses CORRECTIV aus den vergangenen Jahren und die Mittel der AfD bei ihrem Aufstieg: Desinformation und systematische Täuschung.
26. August 2024, 19.30 Uhr, Schlachthof Wiesbaden
mit Dr. Hendrik Cremer
Die Gefahr, die von der AfD ausgeht, wird im öffentlichen Diskurs nicht abgebildet. Die Partei wird verharmlost, indem sie etwa als »rechtspopulistisch« bezeichnet wird. Dabei hat sie sich längst zu einer rechtsextremen Partei entwickelt. Ihre Gewaltbereitschaft wird in der Berichterstattung regelmäßig ausgespart und Vertreter:innen demokratischer Parteien grenzen sich nicht genügend von ihr ab. Cremer zeigt eine Entwicklung, die angesichts der deutschen Geschichte lange nicht für möglich gehalten wurde. Die Strategie der AfD droht aufzugehen, wenn sich der Umgang mit ihr nicht grundlegend wandelt.
22. Oktober 2024, 19.30 Uhr, Schlachthof Wiesbaden
mit Annika Brockschmidt
Wann sind die US-Republikaner in eben jenen Extremismus abgedriftet, der heute eine Wiederwahl von Donald Trump denkbar macht? Lassen sich die Hintergründe und Prozesse eines solchen Abdriften analysieren und übertragen? Was bedeutet ein Sieg von Donald Trump für deutsche Rechtsextremisten und für die Positionierung der Parteien in Deutschland?
Reflektionen anlässlich des Vortrags von Prof. Markus Linden im Rahmen der Veranstaltung „Putin-Propaganda in Deutschland – die Nachdenkseiten als Querfrontmedium?“ von Georg Habs
Prof. Markus Linden hält nichts von Fundamentalopposition. Er hat dafür gute Gründe. Ich unterscheide zwei Arten der Fundamentalopposition – die eine Variante ist mir in guter Erinnerung, die andere ein Graus.
In Fundamentalopposition aufzubrechen, wirkt meist befreiend. Aber ist das, was man da abwirft, stets Ballast oder sind es gewichtige ethische Handlungsgrundsätze? Meiner Erfahrung nach kann es beides sein. So gut sich die Dynamik der Enthemmung für ihre Pilotinnen und Piloten auch anfühlt, unter Umständen erweist sie sich als Brandbeschleuniger der Selbst- und Fremdgefährdung.
Wie komme ich zu dieser Einschätzung? Ich wurde 1953 in Frankfurt am Main geboren. Als ich 14 Jahre alt war, lag meine Zukunft fertig ausgebreitet vor mir: Raus aus der Schule, rein ins Studium, einen Beruf ergreifen, gutes Geld verdienen, heiraten, Kinder zeugen, den angestammten sozialen Status wahren, besser noch: aufsteigen, aufsteigen, aufsteigen.
Diese familiäre Bestimmung versprach mir eine lebenslange, recht öde Zufriedenheit. Der Rest der Welt zählte wenig: Armut, Hunger, Krieg – das waren anderer Leute Probleme, die mich nichts anzugehen hatten.
1968/69 brach diese „feste Burg“ der Fremdbestimmung in sich zusammen. Mir wurde, wie vielen anderen jungen Menschen, damals schlagartig klar: Diese ungerechte Welt kann und muss man verändern – das eigene Leben und das Leben aller anderen sind nicht blindes Schicksal. Eigensinn und Gemeinsinn sind denkbar und damit auch machbar – „unter dem Pflaster liegt der Strand“.
Diese Zukunftsoffenheit entfachte in vielen von uns Antiautoritären einen starken Wissendurst und Bildungshunger. Wir wollten verstehen lernen – beispielsweise durch Tat- und Täterermittlung fassbar machen, was sich im „Muff von 1000 Jahren“ versteckt.
Bis Mitte der 1970er Jahre habe ich meine linke Fundamental-Opposition mit viel Spaß ausgelebt – ich kommentierte gesellschaftliche Entwicklungen von der hohen Warte der „kritischen Theorie“, erfreute mich meiner Einsichten, ergriff Partei, wurde Teil eines rebellischen „Wir“. Ein gutes Gefühl, ein starkes Gefühl. Aber: Wir alle spürten, dieses Gefühl kann verwehen. Wir alle wussten: Es reicht nicht aus, die „herrschenden Verhältnisse“ zu verstehen, um sie zu überwinden.
Die „neuen sozialen Bewegungen“ machten uns fortgesetzt klar, dass zum politischen Handeln nicht nur strategisches Denken, sondern auch handwerkliche Fähigkeiten und Fertigkeiten gehören.
Wir übten uns die Praxis ein, lernten aus eigenen Fehlern, realisierten Projekte, die exemplarisch erlebbar machen, dass sich Leiden tatsächlich mindern, Unterdrückung tatsächlich durchbrechen, lustvoller Altruismus tatsächlich bewerkstelligen lässt. Die so erzielten, alltäglichen Erfolge konnten sich durchaus sehen lassen. Sie waren aber nie das, was man „eigentlich“ erstrebte. Der Abstand zwischen dem Sein der Veränderung und dem weit entferntem Soll der Veränderung war ein stetes Ärgernis.
Tröstlich war und blieb, dass konkret Betroffene die Vorher-/Nachher-Unterschiede durchaus zu schätzen wussten –-mehr Lebensqualität, mehr Selbstbestimmung sind keine Kleinigkeiten.
Seit Einbruch der jüngsten Vielfach-Krisen blähen sich Unsicherheit, Unzufriedenheit und Ungeduld immer weiter auf. Ob sich der Kampf um eine menschenwürdigere Zukunft überhaupt noch gewinnen lässt, erscheint ungewiss.
Nichts und niemand ist damit geholfen, wenn man sich in Resignation oder Schockstarre treiben lässt. Vordringliches gerät aus dem Blick, weil die Gesellschaft des Spektakels mit Ablenkungen lockt.
Ich versuche mich nicht entmutigen zu lassen. Ich versuche Kurs zu halten. Ich tanze nicht auf tausend Hochzeiten. Ich fokussiere mein Engagement dauerhaft auf zwei, drei konkrete Einsatzfelder. Daei tue ich, was ich besonders gut kann, nutze die Hebel und Angriffspunkte, die mir zur Verfügung stehen, stifte Demokraten aller Partei-Lager zu gemeinsamem, zukunftsträchtigem Handeln an. Absolut unverzichtbar ist für mich, die bröckelnden Brandmauern gegenüber allen Anti-Demokraten zu verteidigen und immer wieder auszubessern.
Andere sind anders. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass sich bei vielen einstigen linken Mitstreiterinnen und Mitstreitern in Zeiten der Konfliktzuspitzung eine Unlust am Klein-Klein praktischer Intervention breit macht.
Bei einem Teil von ihnen – beileibe nicht bei allen – unterspült die neue Lust auf Total-Opposition das Fundament sorgfältigen Denkens und Handelns.
Sie machen es sich oft schrecklich einfach mit ihrer Renaissance einer monopolaren Weltsicht: Der Feind meines Feindes ist mein Freund – dieser Freund kann nur Opfer, niemals Täter sein. Der Glaubenssatz „An allem ist nur der Westen schuld“ bedeutet im Umkehrschluss: Russischen Imperialismus gab es nicht und gibt es nicht.
Da mag Waldimir Putin Jahr für Jahr eine völkische Großraum-Ideologie des Russischen predigen, sich offen Interventionsbefugnisse gegenüber souveränen Nachbarstaaten anmaßen und seine völkischen Großmachtvorstellung in einen brutalen Angriffskrieg ummünzen – das alles zählt nicht. Was zählt, sind allein die Missetaten der NATO, EU und Ampel.
Die neuen Fundamental-Oppositionellen genießen den Kraftstoß des sich Bekennens. Sie wollen gedanklich mal wieder im Zentrum des Weltgeschehens stehen. Sie genießen die Chance, alte anti-imperialistische Schlachten mit neuem missionarischem Eifer nochmals zu schlagen. Sie gehen in ihrer Rolle als Verteidiger auf und merken nicht, dass der vorgebliche Angegriffene ein Aggressor der Sonderklasse ist.
Die neuen Fundamental-Oppositionellen wollen nichts mehr von der Vielschichtigkeit, Komplexität und Widersprüchlichkeit politischer Zusammenhänge hören. Was sie suchen, ist ein sicherer Hort politischer Selbstverortung.
Die Erfüllung solcher Wünsche ist denen gewiss, die Umsicht und Faktentreue aufgeben, die ihre kritische Selbstreflexion abbrechen und sich einer bedenkenlosen Selbstradikalisierung hingeben. Ist eine Barriere ernsthafter Nachdenklichkeit erst einmal gefallen, dann gibt es oft kein Halten mehr. Das Realitätsprinzip hat ausgedient, am Ende herrscht allein das Lustprinzip völlig willkürlicher Schuldzuweisung.
Das Entstehen einer derart bedenkenlosen, ex-linken Fundamental-Opposition zerreißt die Gesellschaft als Ganzes nicht prompt von oben bis unten. Weitere Stabilitätsverluste bringt diese Entwicklung aber durchaus mit sich: Spekulatives Misstrauen und autoritäres Denken greifen weiter um sich. Selbstgerechtigkeit, Hass, Hetze finden noch mehr Nahrung.
Die Kristallisationspunkte gesellschaftlicher Aufmerksamkeit driften in dunkle Randgefilde ab. Aus jeder lebenspraktischen Frage der Krisenbewältigung wird ein heilloser und lähmender Kulturkampf.
Die neue Fundamental-Opposition stärkt so mittelbar und unmittelbar die extreme Rechte.
Kräfte der Aufklärung und Emanzipation verlieren an Einfluss. Die Reste der Linken spalten sich kreuz und quer.
Deshalb sage ich: Keine Toleranz gegenüber Ignoranz und Intoleranz, keine Toleranz gegenüber der neuen, bedenkenlosen Fundamental-Opposition!
Diese apodiktische „Kampfansage“ schränke ich aber prompt wieder etwas ein: Langjährigen Freundinnen und Freunden bleibe ich treu und zugewandt, auch wenn sie der neuen, bedenkenlosen Fundamental-Opposition frönen.
Den „Wärmestrom“ persönlicher Loyalität lasse ich trotz schwerwiegender politischer Differenzen nicht abreißen – es gibt ein vor- und nachpolitisches Leben, es gibt ein „Chelat“ des Privaten, ein intim-soziales Miteinander.
Diese elementaren Verbindungen haben nicht nur ein sinnstiftendes Eigengewicht, sondern wirken ganz nebenbei als Dehnungsfugen unser Zivilgesellschaft.
Von der Person Wolf Biermann mag man halten, was man will, sein bereits 1968 verfasstes Gedicht „Ermutigung“ ist und bleibt für mich wegweisend:
„Du, lass dich nicht verhärten
In dieser harten Zeit
Die allzu hart sind, brechen
Die allzu spitz sind, stechen
Und brechen ab sogleich
Und brechen ab sogleich.“
Auf der Bundespressekonferenz vom 13. September 2023 hat der „NachDenkSeiten“-Redakteur Florian Warweg wilde Anschuldigungen gegen die unabhängige soziokulturelle Initiative „Moment Mal!“ und das Projekt „Demokratie Leben!“ erhoben, mit Verleumdungen und schlichten Lügen um Aufmerksamkeit gekämpft.
Wir stellen klar: Es gab keine „Diffamierungskampagne“ eines grünen Bundesministeriums. Niemand wurde von Regierungsstellen gekauft. Niemand hat „Moment Mal!“ in seiner mehr als fünfjährigen Geschichte bei der Themensetzung oder der Referent*innen-Wahl jemals Vorgaben gemacht oder beeinflusst.
Das eigenständige und eigensinnige Moment-Mal-Team nimmt nur ins Programm, was es selbst für richtig, wichtig und streitwürdig hält. So war das schon immer und so war es auch diesmal. Wer uns kennt, weiß das.
Die Verleumdungen des „NDS“-Redakteurs Florian Warweg sind beispielhaft für eine von der Realität völlig losgeloste Eliten- und Medien-Schelte, die Rauchwolken falscher Verdächtigungen verbreitet, damit sich der Verdacht festsetzt, da glimme ein ganz böses Feuer „gelenkter Demokratie“.
Was hat sich wirklich ereignet?
Erstens: Am 14. September 2023 hat „Moment Mal!“ eine eigenständig konzipierte Aufklärungs- und Diskussionsveranstaltung im Schlachthof Wiesbaden veranstaltet. Ihr Titel „Putin-Propaganda in Deutschland – die ‚NachDenkSeiten‘ als Querfrontmedium?“. Die Veranstaltung war übrigens bestens besucht.
Zweitens: Als Werbemittel hat „Moment Mal!“ wie bei allen früheren Veranstaltungen Flyer und Plakate eingesetzt. Die Texte stammen Wort für Wort von uns. Niemand hat uns da hereingeredet oder „Formulierungshilfe“ geleistet.
Drittens: Unser Referent Prof. Dr. Markus Linden hat in seinem Vortrag mit Fakten und wörtlichen Zitaten gearbeitet, seine Quellen offengelegt, Argument an Argument gereiht, seine Einschätzung des Online-Portals „NachDenkSeiten“ Schritt für Schritt plausibel hergeleitet. Prof. Linden hat dem Blog „NDS“ insbesondere eine nicht unwichtige „Scharnierfunktion“ zwischen linken und rechtradikalen Milieus attestiert. Merke: Ein Scharnier zwischen zwei Bauteilen ist das bewegliche Zwischenstück – keines der beiden anderen Bauteile. Das versteht sich von selbst.
„NDS“-Redakteur Florian Warweg will das nicht verstehen. Er behauptet völlig wahrheitswidrig, Prof. Markus Linden habe die „NDS“ selbst, als „rechtsradikal“ eingestuft.
Florian Warweg ist ein Medienprofi. Bevor er bei den NDS angeheuert hat, war beispielsweise sieben Jahre und fünf Monate lang (von September 2014 bis Januar 2022) Chef vom Dienst (CvD) bei Russia Today (RT) Deutschland. Wenn Warweg ein Scharnier mit anderen Bauteilen, wenn er Äpfel und Birnen verwechselt, dann tut er das nicht, weil er etwa Obst-Brei im Hirn hätte. Er weiß ganz genau, was er da treibt.
Warweg versucht „Moment Mal“ und Prof. Markus Linden zu diskreditieren, eine Empörung zu entfachen, die blind macht für differenzierte und wohlüberlegte Kritik. Er liefert der Fan-Base der „NDS“ ein verzerrtes Realitätsbild, um sie bei der Stange zu halten und gegen Einwände zu immunisieren.
Er betreibt einmal mehr eine Opfer-Täter-Umkehr, in der Hoffnung, dass der frei erfundene NDS-Opfergang weitere Sympathisantinnen und Sympathisanten mobilisiert – „Schließt euch fest zusammen!!“
Was Prof. Markus Linden tatsächlich sagt, davon kann man sich auf unserer Internetseite anhand von Video-Aufzeichnungen selbst überzeugen. Da gibt es nichts deuteln und zwischen den Zeilen zu lesen: Prof. Markus Linden spricht durchgängig Klartext!
Viertens: „Moment Mal!“ verfügt über keine Eigenmittel. Aufklärungs-Veranstaltungen kosten Geld, Finanzmittel fallen nicht vom Himmel. Deshalb beantragt „Moment Mal!“ – wie alle anderen unabhängigen soziokulturellen Initiativen – für seine Veranstaltungen Fördermittel bei staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen, die Kultur offen unterstützen.
Für den Umgang zwischen Antragstellerinnen und Drittmittelgeberinnen gelten klare Verhaltensregeln der Rollentrennung. „Demokratie Leben“ ist eine der Stellen, an die man sich in Wiesbaden mit Aussicht auf einen knappen, aber hinreichenden Finanzierungserfolg wenden kann. Das hat „Moment Mal!“ schon früher und auch jetzt wieder mit Erfolg wieder getan.
Nichts daran ist anrüchig oder skandalös. „Demokratie Leben“ ist keine staatliche Aufsichtsbehörde, keine Zensuranstalt, kein Strippenzieher einer Regierung. Wer Fördermittel beantragt und erhält, wird dadurch nicht zum „Agenten einer fremden Macht“. Vulgär-materialistische Pauschalverdächtigungen in die Welt zu setzen, ist dagegen schlecht für die offene Gesellschaft.
Wäre es unabhängigen soziokulturellen und politischen Initiative verwehrt, Finanzmittel einzuwerben, dann stünden die allermeisten von ihnen mittellos da und müssten ihre Arbeit einstellen – ohne starke Kulturförderung keine Handlungssicherheit und Handlungsfreiheit der unabhängiger soziokultureller Initiativen, keine kulturelle Vielfalt.
Florian Warweg schwadroniert im Zusammenhang mit unserer Veranstaltung über missbräuchlich eingesetzte „Steuergelder“. Er suggeriert böse Verschwendung.
Und er weiß haargenau, welchen Unsinn er da verzapft.
Er hat sich 2008 sechs Monate lang als Consultant mit der Evaluierung der Instrumente des „Deutschen Entwicklungsdienstes“ (DED) zur Stärkung der peruanischen Zivilgesellschaft in den Bereichen in den Bereichen Ziviler Friedensdienst und Demokratieförderung befasst. Er weiß um solche Wirkmechanismen. Er weiß, was zum Gelingen der Demokratieförderung beiträgt.
Er weiß, dass auch bei der Moment-Mal!-Veranstaltung in Wiesbaden alles diesen geregelten Gang entsprach. Statt dieses Wissens verbreitet er falsche Verdächtigungen.
Er versucht Menschen glauben zu machen, Kulturinitiativen, die nicht auf seiner Linie liegen, seien allesamt nur die Marionetten einer Elite bösartiger Strippen-Zieher.
Wer solch Verschwörungsgedanken verbreitet, ist kein Freund der Meinungsfreiheit, steht nicht auf der Seite von Aufklärung, Wahrheit und Emanzipation.
Florian Warweg betreibt repressive Angstmache.
Bei aller Genugtuung darüber, dass die AfD ihren Bundesparteitag am 11. und 12. Dezember 2021 in Wiesbaden abgesagt hat: Uns reicht es nicht aus, dass dies nur wegen Corona geschah.
Wir meinen: Es gibt gute Gründe, der AfD dauerhaft und grundsätzlich den den Stuhl vor die Tür zu setzen.
Die AfD macht Corona zur Waffe ihres Systemkampfes
Die AfD stachelt Impfängste mit Lügen an. Die AfD setzt sich als Vorbild der Maskenverwei-gerung in Szene. Die AfD stellt sich Problemlösungen vorsätzlich in den Weg. Die AfD wettert über Freiheitsbeschränkungen, die sie durch ihr schändliches Treiben selbst befördert. Die AfD versucht mit allen Mitteln Demokratieverdrossenheit herbeizuführen, und sei der Preis auch noch so hoch – vermeidbare Todesfälle und Erkrankungen, vermeidbare Pleiten und zerstörte Existenzen. Die AfD-Propaganda ist ein Attentat auf Leben und Gesundheit.
„Manche beherrschen die entsetzliche Kunst,
Ernst Bloch
Menschen das Fürchten zu lehren.”
Die AfD verteilt keine Mordaufträge, bestellt keine Nagelbomben. Stattdessen verbreitet sie Hass und Hetze, verbreitet Untergangsszenarien und Notwehrparolen, Feindbilder und Hinweise auf “Volksverräter”. Diese ständige Angst- und Wutmache sorgt für eine explosive Stimmung, die sich in Mordtaten entlädt – einmal, zweimal, immer wieder.
„Faschisten hören niemals auf, Faschisten zu sein.
Danger Dan, 2021
Man diskutiert mit ihnen nicht.”
Ende 2020 schreibt ein oberbayerischer AfD-Kreisvorsitzender in einem Partei-Chat: „Wahlen helfen ohnehin nicht mehr.“[…]“Ohne Umsturz und Revolution erreichen wir hier keinen Kurswechsel mehr.“Georg Hock, Mitglied des Landesvorstandes der AfD in Bayern, antwortet: „Absolute Zustimmung“. Die bayerische AfD-Landtagsabgeordnete Anne Cyron pflichtet bei: „Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen werden.“
All das ist nicht neu, nicht überraschend: Der AfD-Vordenker, Götz Kubitschek hat schon früher klargestellt, welche Machtstrategie zur AfD passt: Ziel sei nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende, „nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party.“
Schenkt der AfD keinen einzigen Tanzboden!
Stellt ihr die Stühle vor die Tür!
Menschenwürde kann man hegen und pflegen. Es ist befriedigend, das Hirn mit Fakten und das Herz mit Menschlichkeit stark zu machen. Es ist befriedigend, sich im Meinungsstreit näher zu kommen und Vorbehalte abzubauen. Es ist befriedigend, wenn Missgunst und Misstrauen sich in Zutrauen, Selbstbewusstsein und Offenheit auflösen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, sich diese Befriedigungen zu versagen.
Wir leben Demokratie.
Wir wollen die offene Gesellschaft stark machen.
Die AfD treibt die Angst um, dass der Verfassungsschutz die gesamte Partei zum rechtsextremistischen Verdachtsfall hochstuft. Eine solche Hochstufung würde die Wahlchancen der AfD weiter verringern. Deshalb beteuert die Partei ihre Verfassungstreue.
Am 27. November 2020 hat der AfD-Bundesvorstand einstimmig einen Grundsatzbeschluss gefasst, in dem es heißt: „Die AfD tritt aktiv für die Wahrung der Demokratie, des Rechtsstaats und für die Achtung und den Schutz der Menschenwürde ein.“
In Wiesbaden wirbt die AfD auf ihren Plakaten zur Kommunalwahl 2021 mit dem Slogan: „Wir sagen, was alle denken“
Das passt vorne und hinten nicht zusammen.
Die Aussage der AfD-Plakate ist offenkundig falsch. Keine Partei sagt, was alle denken.
Doch der Werbeslogan der AfD ist nicht nur ein dummer Spruch.
Die AfD unterscheidet eines von anderen Parteien. Die Bertelsmann-Stiftung hat die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter 10 000 Teilnehmer:innen vom Juni 2020 veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass der Anteil der Wähler:innen mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild in der AfD fast viermal so hoch wie im Durchschnitt aller Wahlberechtigten. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Befürwortung einer rechtsgerichteten Diktatur (15 aller AfD-Wähler:innen gegenüber 5 Prozent aller Wahlberechtigten), der Verharmlosung des Nationalsozialismus (13 gegenüber 3 Prozent), beim Antisemitismus (13 gegenüber 5 Prozent), bei der Fremdenfeindlichkeit (65 gegenüber 21 Prozent).
Was viele AfD-Wähler:innen denken, unterscheidet sich demnach erheblich von dem, was alle anderen denken.
Die AfD Wiesbaden weiß das. Sie misst mit zweierlei Maß. Für sie zählen manche Menschen doppelt und dreifach und andere Menschen überhaupt nicht – all jene, die andere Meinung sind. Die AfD Wiesbaden macht einen zutiefst undemokratischen Alleinvertretungsanspruch geltend: Sie allein „ist das Volk“ – alle Andersdenkenden gehören nicht dazu, haben nichts zu melden, sollen die Klappe halten.
Leider spricht der Werbe-Slogan der Wiesbadner AfD vielen Menschen aus dem Herzen, die sich in rechtsextremen Filterblasen tummeln und die Wirklichkeit ausblenden. Dort sind solche Menschen unter sich, dort sind nicht nur in der Mehrheit, sondern „alle“. Dort werden sie mit Hass und Hetze scharf gemacht, dort können sie sich mit ihren Gewaltphantasien wechselseitig überbieten und ihre menschfeindlichen Überzeugungen hegen und pflegen. Dort wird der Boden für ein Denken bereitet, das sich in Taten Bahn bricht – als menschenverachtenden Terrorismus sogenannter „Einzeltäter“.
Der AfD-Slogan „Wir sagen, was alle denken“ belegt: Die AfD ist keine kreuzbrave konservative Partei, die AfD ist brandgefährlich.
Wiesbaden, Dezember 2020.
Corona nervt – auch das Team von Momentmal! Leute, die sich nicht an Schutzregeln halten und damit andere gefährden, nerven. Leute, die sich allzu sklavisch an Regeln halten, nerven. Es nervt, dass alle so genervt sind – Du, ich und andere.
Immer mehr Menschen verfallen angesichts der zweiten Corona-Welle abwechselnd in Hohn und Spott über widersprüchliche „Wellenbrecher“-Verordnungen und lückenhafte Hilfsangebote.
Der Eifer, mit dem nach Haaren in der Suppe der Corona-Schutzmaßnahmen gesucht wird, speist sich aber nicht allein aus der aktuellen Ausnahmesituation, sondern scheint uns Ausdruck einer seit langem aufgestauten Politikverdrossenheit zu sein. Dabei erkennen wir verschiedene Muster wieder – bei anderen und auch bei uns selbst.
Stichwort Maskenpflicht: In Wiesbaden gilt für zwei Fußgängerzonen Masken-Pflicht, für eine dritte nicht. Die unterschiedliche Strenge des Eingriffs entspricht der unterschiedlichen Frequentierung der drei Fußgängerzonen. Diese nahe liegende Erklärung wird nicht wahrgenommen. Lieber ergeht man sich mit Genuss im Verdruss über die „da oben“, die mal wieder nicht wissen, was sie tun.
Selbst wenn man das zweierlei Maß bei der Maskenpflicht weiterhin merkwürdig findet, ist die Aufregung, mit welcher die Kritik geäußert wird, maßlos. Man könnte die kleinen Unstimmigkeiten mit einem „Na und?“ quittieren, anderswo einkaufen gehen oder die geringfüge Masken-Belästigung in Kauf nehmen. Doch solche Gelassenheit ist selten, es überwiegt ein aufgeregtes „Aber Hallo!“.
Stichwort Beschulung: Maskenpflicht und andere häufig wechselnde Vorgaben lassen manche Pädagogen am Erziehungserfolg ihres Unterrichts zweifeln. Das führt sie zu der Mutmaßung, das Offenhalten der Schulen diene nicht der Durchsetzung des „Rechts auf Bildung“, sondern ziele darauf ab, Eltern von Ganztags-Betreuungsnotwendigkeiten ihrer Kinder frei zu halten und ihnen damit die Fortsetzung ihrer regulären Arbeitstätigkeit zu ermöglichen.
Die Bereitschaft, diesen Zielkonflikt zwischen Einlösung einer Erziehung nach allen Regeln pädagogischer Kunst und Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens auszuhalten und das Beste daraus zu machen, ist gering. Umso größer ist die Empörung über das „irrlichternden“ Tun der „Obrigkeit“. Was man von ihr erwartet, sind Entscheidungen, die es allen Recht machen und das auch noch auf Dauer und ohne Kurswechsel – mehr, als selbst die Klügsten der Klugen derzeit bewerkstelligen können.
Stichwort berufliche Existenz: Die Risiken der Corona-Pandemie sind abstrakt. Höchst konkret hingegen ist das Wissen darum, wie lange der eigene Betrieb oder das Unternehmen, für das man tätig ist, die Lockdown-Verfügungen überleben wird. Es werden rasche Lockerungen verlangt, obwohl man durchaus darum weiß, dass diese kaum mit einer Eindämmung des Infektionsgeschehens zu vereinbaren sind. Die Ungeduld, mit der unbürokratische Hilfen eingeklagt werden, ist durchaus verständlich und berechtigt. Doch fast jede der besonders betroffenen Berufsgruppen erhebt dabei nur Forderungen im nachvollziehbaren Eigeninteresse, fast keine bemüht sich um einen Schulterschluss mit anderen.
Ein Mehr an Solidarität mahnt deshalb eine Stellungnahme von „theaterperipherie“ und „Landungsbrücken Frankfurt“ zur Schließung der Theater an: „Dass es sich einfach scheiße anfühlt, am Telefon vom Jobcenter gefragt zu werden, ob man denn wieder einen Job gefunden hat, und dass es sich auch scheiße anfühlt, vor Ort im Jobcenter von einem Security-Mitarbeiter aufgefordert zu werden, die Maske kurz abzulegen, um zu beweisen, dass man auch wirklich man selbst ist, der die Leistung bezieht. Das können wir in unserer Filterblase gerne besprechen und uns versuchen, gegenseitig Kraft zu geben. Aber sobald es um konkrete Forderungen geht, muss klar sein: Das geht uns gerade genauso wie allen anderen Menschen, die auf Leistungsbezug angewiesen sind. HARTZ IV ist scheiße und keine adäquate Grundsicherung! Und das erleben wir Künstler*Innen jetzt halt auch mal hautnah. Und wer das nicht wusste, der hat sich in den letzten 20 Jahren auch im Theater nicht wirklich für Gesellschaft interessiert.“
Stichwort Bürokratie: Sozialämter und Arbeitsagenturen dünnen zum Schutz ihrer Mitarbeiter parallel zum Anschwellen des Infektionsgeschehens ihre analogen Sprechzeiten aus. Wer dringend einen Behörden-Stempel braucht, um Ungemach von sich fern zu halten, hat da oft das Nachsehen. Doch nicht diese von praktischer Hilfe Abhängigen beschweren sich am laustärksten über die Selbstverbunkerung und Verweigerung notwendiger Leistungen von Verwaltungen, sondern wohlsituierte Menschen, die eine staatliche und kommunale Rundum-Versorgung ohne Abstriche auch in Krisen-Zeiten erwarten.
Ihnen geht es nur am Rande um für sie eigentlich verschmerzbare Leistungseinbußen. Sie nehmen diese vorrangig zum Anlass, um die altbekannte Klagen über die Tücken der Bürokratie anzustimmen. Man mokiert sich einmal mehr über vorgebliche Tendenz von Verwaltungen, ihre Arbeit in genau dem Maß auszuweiten, wie man ihnen Zeit und Personal für ihre Erledigung zur Verfügung stellt.
Der Sozialdarwinismus ging mit der Behauptung hausieren, nur der Stärkste habe eine Chance und ein Recht auf Überleben. Marktradikale Ideologen proklamieren nicht weniger apodiktisch „Konkurrenz belebt das Geschäft“ und „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Dies gipfelt in dem Anspruch, in der steten Auseinandersetzung mit Mitbewerbern könne sich nur bewähren und obsiegen, wer ohne Unterlass der Verpflichtung zur „Selbstoptimierung“ nachkommt.
Dass Menschen soziale Wesen sind, Kooperation und kluger Interessenausgleich Wege des erfolgreichen Miteinanders ebnen können, wird ebenso vorsätzlich ignoriert wie der Wert jeglicher Gemeinwesen-Orientierung des Einzelnen und der diversen Interessengruppen.
Was sich die Einzelnen, die sich der Selbstoptimierung unterwerfen, abverlangen, übertragen sie als Erwartung auf politische Institutionen. Sie sollen als perfekter Liefer-Service funktionieren, der den eigenen Erwartungen ständig vollauf zu genügen hat – was aus anderen wird, gilt als unmaßgeblich.
Da die Politik es nicht allen vollständig Recht machen kann, wird sie ständig als defizitär gebrandmarkt. Nicht nur die tatsächliche oder vermeintliche Bevorzugung anderer Interessengruppen wird dabei aufs Korn genommen, selbst Versuche von Ausgewogenheit gelten als höchst suspekt – gefährden sie doch potenziell den Erhalt des eigenen Wohlstands.
Auch im Diskurs über die Zumutungen der Corona-Pandemie bricht sich dieser entgrenzte Egoismus Bahn – Überempfindlichkeit paart sich mit hartem Austeilen: Jeder ist sich selbst der Nächste und Einzige.
Dass man bei allem, was man sagt, die Verhältnismäßigkeit seiner Mittel beachten sollte, wird als unzumutbarer Freiheitsentzug denunziert und nicht mehr als ein Akt der Mäßigung verstanden, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unverzichtbar ist. Zuspitzung der Kritik um der Zuspitzung willen, sich keine Deut um die Belegbarkeit kolportierter Vorwürfe zu kümmern, haben Konjunktur. Die Wahrung von Anstand und Wahrhaftigkeit gelten als vorsintflutliche Zumutungen, Verleumdung und üble Nachrede als zulässig – solange sie nur die „anderen“ treffen.
Das Gefühl der Ohnmacht, das Gefühl, allein gelassen zu sein, mästet sich am Hohn und Spott über die vermeintlichen Übeltäter aus dem Reich der Politik. Die Lust, es denen mal richtig heimzuzahlen, wächst.
Wie befreiend wäre es doch, die Regeln der Vernunft zu brechen, sich nach Lust und Laune auszutoben, mit anderen den Tanz auf dem Vulkan zu wagen. Was davon abhält, seinen narzisstisch geprägten Unmut auf Straßen und Plätzen zu tragen, ist der Ekel vor denen, die sich da bereits tummeln.
Epidemiologen versichern glaubhaft: Leisten alle Menschen nur drei bis vier Wochen einen radikalen Verzicht auf Sozialkontakte, brechen die Infektionsketten in sich zusammen. Dann würden anschließend die meisten Freiheitsbeschränkungen wieder überflüssig – der Triebaufschub von heute stößt das Tor zum Hedonismus von morgen auf.
Das erinnert an den legendären amerikanischen Marshmallow-Test aus dem Jahre 1968: Vierjährigen Kindern schenkte man ein Marshmallow und stellte sie vor die Wahl, es entweder sofort zu essen oder noch ein zweites zu bekommen, wenn sie einige Minuten zuwarteten. Aug in Aug mit der süßen Versuchung verzichtete ein Teil der jungen Probanden auf die spätere Belohnung und biss einfach zu. Der Haken bei der heute angemahnten Impulskontrolle ist: Wenn viele ausscheren und tun, was sie nicht lassen mögen, dann haben alle den Schaden, dann entfällt die versprochene Belohnung. Ohne garantierten eigenen Vorteil sich für andere aufopfern – wozu?
Je mehr Menschen nur noch um das eigene Selbst kreisen, umso größer die Gefahr einer weiteren Spaltung der Gesellschaft. Umso dringlicher ist es, der bei vielen durchaus noch vorhandenen Alltagsvernunft kräftigende Nahrung zu geben.
Viele Experten überzeugt die Fortschreibung des „Lockdown Light“ nicht. Sie vermissen Maßnahmen mit rascher Tiefenwirkung und eine nachvollziehbare Langzeitstrategie. Irland arbeitet mit einem klar strukturierten Fahrplan, der von Level eins bis fünf aufzeigt, welche Maßnahmen je nach Entwicklung des Infektionsgeschehens ergriffen oder wieder aufgehoben werden. Die Menschen wissen dort, womit sie rechnen können und müssen, während sie sich bei uns stets aufs Neue mit ad hoc getroffenen Entscheidungen und Kompromissen der Politik konfrontiert sehen.
Mit allgemein gehaltenen Erklärungen an die Einsichtsfähigkeit der Menschen zu appellieren, reicht nicht. Die politisch Verantwortlichen müssen Sinn und Zweck der Vorgaben konkretisieren. Sie könnten beispielsweise anhand von Modellrechnungen verdeutlichen, welch gewaltigen Unterschied es für die Eindämmung des Virus macht, ob private Treffen auf maximal fünf Personen begrenzt werden oder ob man nur noch eine Person empfängt, die nicht zum Haushalt gehört.
Wem der Blick in die Glaskugel solcher Computersimulationen nicht ausreicht, dem sollte man vor Augen führen, wie es in manch anderen europäischen Ländern gelungen ist, den Klammergriff der Pandemie innerhalb weniger Wochen zu lockern. Ein Teil der Wozu-Fragen von Skeptikern wäre damit beantwortet.
Sachliche Kritik an strittigen Eindämmungsversuchen des Infektionsgeschehens zu üben, ist wichtig, damit Spott, Zweifel und Misstrauen zurückgedrängt werden und nicht noch mehr Wasser auf die Mühlen des demokratiefeindlichen Querdenkens geleitet werden.
In den 70er und 80er Jahren haben viele von uns „Altlinken“ mit Begeisterung die Kriminalromane des schwedischen Autorenpaars Sjöwall-Wahlöö gelesen. Der Krimi „Der Polizistenmörder“ beispielsweise wartete mit einer gesellschaftlichen Lageeinschätzung auf, die von seiner Leserschaft allenfalls als etwas „vulgärmaterialistisch“ belächelt, aber als „gesellschaftskritische“ Unterhaltungsliteratur akzeptabel gefunden wurde.
Heute gehen Freundinnen und Freunden der offenen Gesellschaft die Augen über angesichts der in einzelnen Textpassagen verbreiteten Politik -Verdrossenheit und „Deep State“-Gedanken:
„[…] obwohl er einsah, daß das ganze System von einem Dutzend reicher Familien und ungefähr der gleichen Anzahl korrumpierter und untauglicher Politiker gesteuert wurde, die sich auch noch etwas darauf einbildeten, Mal für Mal die gleichen alten Lügen zu wiederholen […] “
Der Polizistenmörder, Maj Sjöwall / Per Wahlöö, Rowohlt Taschenbuch Verlag
Wem in solch entlastenden Brachial-Phantasien die Rolle des allgewaltigen Übeltäters im Hintergrund zuzuweisen ist, ist austauschbar – Freimaurer, Illuminaten, russische Mafia, Putin, Xi Jinping, Bill Gates, BlackRock, das Kartell der Superreichen. Mit unschöner Regelmäßigkeit heißt die bösartige Antwort wie seit zwei Jahrtausenden: die Juden.
Dieses alte Querdenken wird hier und heute von Rechtsradikalen benutzt, um ihre Mär von kleinen Eliten, die für alle Übel dieser Welt verantwortlich sind, weiter zu verbreiten und für ihre brutal-autoritären Vorstellungen einer nationalen Erhebung zu werben.
Es gilt, solch grobe und brandgefährliche Vereinfachungen zu überwinden und sich von der Phantasie zu lösen, komplexe Probleme ließen sich im Handstreich erledigen. Die Konsequenzen solcher Selbst-Aufklärung müssen nicht langweilig sein. Fakten von Fake News zu unterscheiden, ist spannende Detektivarbeit. Um Formen der Ansprache zu entwickeln, die Grenzen des Lagerdenkens überwinden, muss man sein kreatives Potential voll ausreizen, immer wieder Neues wagen… Wer sich auf dieses Abenteuer unverdrossen einlässt, wird merken: „Demokratie ist lustig“
Moment mal! beteiligte sich am Gedenken anlässlich des Jahrestages der letzten großen Deportation Wiesbadener BürgerInnen jüdischen Glaubens am 1. September 1942. Die zentralen und dezentralen Veranstaltungen dazu wurden vom Aktiven Museum Spielgasse organisiert.
Das Medienteam von Moment mal! hat im Auftrag der Martin-Niemöller-Stiftung ein kleines Video dazu erstellt: „Rund 700 Stolpersteine und die Rampe am Schlachthof Wiesbaden: Orte des Gedenkens anlässlich des Jahrestags der letzten großen Deportation Wiesbadener BürgerInnen jüdischen Glaubens am 1. September 1942“
Wir danken dem Aktiven Museum Spiegelgasse für die Aufnahmemöglichkeiten im Rahmen der Gedenkveranstaltung am 3. September 2020 im Schlachthof Wiesbaden und der Martin-Niemöller-Stiftung für die Möglichkeit, das Video auf unserer Plattform einzubinden.
Stolpersteine und Deportationsmahnmal Schlachthoframpe – Rauminstallationen der Erinnerung am 3. September 2020
Am Donnerstag, den 3. September 2020, werden ab 15.30 Uhr an mehreren Orten in der Stadt an Stolpersteinen Erinnerungsblätter verlesen und weiße Rosen niedergelegt. Veranstalter ist das das „Aktive Museum Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden“ (AMS). Die Initiative „Moment Mal“ beteiligt sich an dieser Aktion.
Ab 19:30 Uhr führt das AMS am Deportationsmahnmal eine Gedenkveranstaltung durch. Sie steht unter dem Motto „Letzte Briefe“. In ihrem Zentrum steht eine Lesung mit ausgewählten Testpassagen und Wortmeldungen der von Verfolgung und Entrechtung heimgesuchten Jüdinnen und Juden.
Die „Stolpersteine“
Erdacht hat dieses Erinnerungsprojekt der Künstler Gunter Demnig. „Stolpersteine“ kennzeichnen mit kleinen Messingtafeln, auf denen die Lebensdaten der Betroffenen festgehalten sind, den letzten frei gewählten Wohnort jüdischer Bürgerinnen und Bürger während der NS-Zeit. Was folgte, war ihre zwangsweise Unterbringung in Sammelunterkünften, Deportation und Vernichtung. Nur wenige Jüdinnen und Juden entkamen der damaligen Verfolgung und dem industriellen Massenmord. Stolpersteine machen auf die zahlreichen Orte aufmerksam, an denen jüdisches Leben einst in Wohnquartieren ein Zuhause hatte. Das Verschwinden der jüdischen Nachbarinnen und Nachbarn, Kundinnen und Kunden, Mitschülerinnen und Mitschüler kann in ihrem Umfeld nicht unbemerkt geblieben sein. Nach 1945 erklärten viele deutsche Nicht-Juden, sie hätten von dem Unrecht, das ihren jüdischen Nächsten zugefügt wurde, nichts gewusst und wahrgenommen. Diese Lebenslüge legen „Solpersteine“ offen. „Stolpersteine“ haben sich als ein besonders taugliches Mittel der Aufklärung erwiesen.
Das „Deportationsmahnmal Schlachthoframpe“
Am 29. August 1942 – einem Sabbat – mussten sich rund 400 von namentlich erfasste jüdische Wiesbadener Bürgerinnen und Bürger im Synagogengebäude Friedrichstraße einfinden. Wertsachen und höhere Geldbeträge waren abzuliefern. Jede Person hatte sich ein Pappschild umzuhängen, auf dem Name und Kenn-Nummer verzeichnet waren. So gekennzeichnet hatten die für die letzte große Wiesbadener Deportation am 1. September 1942 bestimmten Menschen zu Fuß von der Synagoge zum Schlachthof gehen. Dort wurde sie in den frühen Morgenstunden in Waggons verladen und über Frankfurt am Main nach Theresienstadt verbracht. Genau an der Stelle, an der die Verschickung in die Vernichtung ihren Anfang nahm, befindet sich das „Deportationsmahnmal Schlachthoframpe“. Ein Mauerrest hinter der einstigen Viehverladerampe erinnert mit fotorealistischen Bildwerken an das schreckliche Geschehen. Grundlage dieser künstlerischen Arbeiten ist eine Serie von über 30 Fotos der Deportationsmaßnahme. Eine Stele informiert über die Hintergründe des Geschehens.
Das Gedenken
Messingplatten, Bildwerke, Informations-Stelen sind Gegenstände. Sie halten still – meist nimmt man sie nur am Rande wahr. Erinnerung ist Arbeit. Werden Erinnerungsorte nicht immer neu mit Bedeutung aufgeladen, dann versinken sie in der Banalität des Alltags und entziehen sich als Stadtmöblierung ohne Reibungsflächen der öffentlichen Wahrnehmung. Gedenken muss deshalb immer wieder als besondere Handlung inszeniert werden. Gedenken bedarf der Einkehr und einer besonderen Zeit jenseits täglicher Routine. Gedenken muss in Formen gegossen werden, die ein Spannungsfeld zwischen gestern und heute herstellen, das Gleichgültigkeit und Geschichtsvergessenheit wirksam in Frage stellt.
Unsere Verantwortung
Der Schriftsteller und Philosoph Albert Camus schreibt: „Der Mensch ist nicht ganz und gar schuldig, denn er hat die Geschichte nicht begonnen und auch nicht ganz und gar unschuldig, denn er schreibt sie fort.“ Mit anderen Worten: Niemand ist verpflichtet, sich eine „ererbte“ Schuld zu „eigen“ zu machen. Aber wir alle tragen Verantwortung für das, was kommt. Wir alle machen Tag für Tag Geschichte – mit dem, was wir tun oder unterlassen. MOMENT MAL meint: Jede und jeder sollte geschichtskluges Wissen um in der Vergangenheit zugefügtes Unrecht und Leid nutzen, um der Zufügung von neuem Unrecht und Leid mit all seinen Möglichkeiten rechtzeitig Einhalt zu gebieten.